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„Nun töten sie auch die Seele Beiruts“

Um Libanons Hauptstadt wird wieder gekämpft, doch nicht mehr mit Waffengewalt: Was von der Innenstadt übriggeblieben ist, soll nun dem größten Banken- und Bürozentrum im Nahen Osten weichen  ■ Aus Beirut Nina Corsten

„Hariri will uns unser Land wegnehmen.“ Omar Daouq, der diese Klage führt, ist Oberhaupt einer wohlhabenden alten Beiruter Familie, die auch den ersten Präsidenten des Landes gestellt hat, wie er selbstbewußt vermerkt. Rafiq Hariri, über den er spricht, ist im Gegensatz zum ihm ein Selfmademan. Er kam arm zur Welt und gehört heute zu den reichsten Männern des Nahen Ostens. Seit einem guten halben Jahr ist er der Ministerpräsident des Landes.

Omar Daouq sitzt im Schein eines Kaminfeuers auf einem Diwan. Der mit erlesenen Kelims dekorierte Salon ist in mattes warmes Licht getaucht. Zwei junge schwarze Diener reichen Kaffee und Gebäck. „Auf unserem Land im Zentrum Beiruts will Hariri das größte Business-Center des Nahen Ostens bauen“, sagt seine Ehefrau. „Bisher konnten wir nicht gegen die Bodenenteignung klagen, weil das Verfassungsgericht nicht besetzt war.“ Die Frage, wie verfassungskonform die Politik der alten Eliten des Landes war, verbietet sich in diesem Moment.

„Unsere einzige Möglichkeit ist zur Zeit die Herstellung von Öffentlichkeit, aber wir werden uns mit allen Mitteln gegen Hariris Projekt zur Wehr setzen“, sagt Omar Daouq. Er stellt seine Tasse auf das hingehaltene Tablett zurück. Der Diener verbeugt sich leicht und zieht sich mit unbewegter Miene zurück. „Sie kommen aus dem Sudan. Sie lernen noch. Aber der Oberkellner ist krank“, sagt die Gastgeberin entschuldigend, während ihre Augen den zweiten Diener kontrollieren, der die ausländischen Gäste bedient. „Man kann uns nicht einfach unser Land wegnehmen. Es gehört uns seit Generationen. Wir haben hier ausgeharrt, während der langen Jahre des Bürgerkrieges. Andere haben den Libanon verlassen, aber wir hatten nie Angst, daß uns etwas geschehen könnte.“ Sie blickt beunruhigt zur Tür, von wo ein leises Klirren zu vernehmen war. „Das war bestimmt das Geschirr. Immer muß man ihnen auf die Finger schauen.“ Ihr Mann deutet auf die hohen verglasten Terrassentüren am anderen Ende des großen Raumes. „Können Sie sich vorstellen, daß wir diese Türen während des Krieges niemals verschlossen haben? Selbst in den schlimmsten Zeiten hatten wir keine Angst vor Plünderungen.“ Im Raum hat sich eine angenehme trockene Wärme ausgebreitet. Gegen die hohen Fenster des kleinen alten Palais prasselt in dieser Nacht ein heftiger Beiruter Winterregen.

Nach 17 Jahren Krieg, den die Daouqs relativ unbeschadet überstanden haben, soll der Kampf um die Macht in Beirut nun offenbar mit anderen Mitteln ausgetragen werden; nicht mehr mit Panzern und Granatwerfern, sondern mit Baggern und Kränen; nur das Dynamit spielt weiterhin eine wichtige Rolle – beim Sprengen von Gebäuden, die den Krieg heil überstanden haben. Milizionäre und Kommandanten haben ausgedient, die neuen Akteure könnten Investoren, Makler und Architekten sein. So jedenfalls sehen es Mitglieder des alten sunnitischen und griechisch-orthodoxen Besitzbürgertums, um deren rund 2.000 Innenstadt-Parzellen es nun geht.

„Zumindest der Plan, eine künstliche Insel durch das Aufschütten von Müll im Meer zu errichten, ist mittlerweile verworfen worden“, erklärt Nabil Beyhum, Professor für Soziologie an der Ostbeiruter American University, „aber die Innenstadt soll großenteils enteignet und dem Erdboden gleichgemacht werden.“ Auf seinem über und über mit Papieren bedeckten Schreibtisch liegt ein Stapel Broschüren. „Das ist ein Bericht über unser Symposium gegen Hariris Projekt.“ Im vergangenen Jahr habe das Parlament Hariri in einem verfassungswidrigen Gesetz ermächtigt, eine Aktiengesellschaft zu gründen, die mit der Stadterneuerung beauftragt werden solle, berichtet er. Zu ihren Gunsten fänden schon jetzt Enteignungen statt, und zwar „im Filetstück von Beirut, wo vor dem Krieg bis zu 10.000 Dollar pro Quadratmeter gezahlt wurden. Es war das teuerste Land im Nahen Osten.“ Die Eigentümer sollen später durch die Vergabe von Aktien entschädigt werden, die gerade mal ein Zehntel des früheren Bodenpreises wert sind. Als Gegenleistung an die Öffentlichkeit hat das Parlament die Aktiengesellschaft zwar zur Reparatur der zerstörten Infrastruktur verpflichtet, „aber es ist in keiner Weise festgelegt worden, was das heißt“.

Der Soziologe hat sich in Rage geredet. „Die Stadt Beirut hat ja wirklich kein Geld. Es geht das Gerücht, daß die Golfstaaten bislang jede Hilfe abgelehnt haben, weil unsere Stadtverwaltung nicht einmal in der Lage ist, die Telefongebühren einzutreiben. Aber eben weil wir keine starken öffentlichen Institutionen haben, ist diese Planung so katastrophal. Mit der Gründung dieser Aktiengesellschaft wird ein Privatunternehmen die Macht in Beirut übernehmen.“

Das Kerngebiet der alten Nahostmetropole liegt auf einem großflächigen Vorsprung der Mittelmeerküste. Der Hafen liegt in dem einst am heftigsten umkämpften Mittelteil der Stadt. Von dort zieht sich das Gebiet der „Grünen Linie“ – die den moslemischen Westen vom christlichen Osten trennt – kilometerweit nach Süden, bis in die Beiruter Vorstädte. Grün ist dieses Areal wirklich an vielen Stellen, denn die Natur hat das einst dicht bebaute Herzstück der Innenstadt längst üppig wuchernd zurückerobert. Doch das einladende Grün birgt Gefahr: überall liegen noch Minen.

Um die einst militärisch und neuerdings eigentumsrechtlich umkämpfte Zone im Norden zu durchqueren, braucht man zu Fuß vielleicht eine halbe Stunde. Weiter südlich, Richtung Nationalmuseum, ist sie manchmal nur drei, vier Häuserblocks breit, um sich dann plötzlich wieder so weit auszudehnen, daß man bis zum Horizont nur Ruinen und ausgebrannte Häuser sieht. Das Ausmaß ihrer Zerstörung überrascht ebenso sehr wie der relativ intakte Zustand der übrigen Teile der Stadt. Beides hängt zusammen.

„In den langen Kämpfen haben sich die Fronten letztlich kaum bewegt. Die Milizen haben in begrenzten Gebieten um unbegrenzte Kontrolle gekämpft“, sagt der libanesische Journalist, der uns begleitet. Die Erbitterung, mit der die verschiedenen Milizen hier um jeden Quadratmeter gekämpft haben, ist noch von den Gebäuden abzulesen, die entlang der „Grünen Linie“ in erstaunlich großer Zahl stehengeblieben sind.

Ein Eckhaus aus der Jahrhundertwende: Die Fassade ist weggebrochen. Hoch über der Straße ragen die Reste eines Erkers ins Freie. Auf dem Vorsprung, hart an der Kante, ein alter Sessel, daneben ein Topf mit einer Pflanze, die während der Kämpfe zu einem üppigen Strauch gediehen ist. Schräg gegenüber der alte jüdische Friedhof, der den Krieg fast unbeschadet überstanden hat. Am Eingang steht eine einsame Straßenhändlerin, die voller Freude erzählt, daß hier endlich „wieder Leben herrscht“. Gestern hat hier eine Beerdigung stattgefunden.

Unsere Begleiter kennen die zerstörte Stadt gut. Sie haben ihr halbes Leben im Beiruter Bürgerkrieg verbracht. Sie verbinden Straßenkreuzungen mit Schlachten, Gebäude mit ihrer strategischen Relevanz, Formen der Zerstörung mit dem Einsatz bestimmter Waffengattungen. „Hier hat man wahrscheinlich nur die tragenden Pfeiler zerschossen“, erklärt der Journalist vor einem einst fünf- oder sechsgeschossigen Gebäude, dessen Betondecken wie die Blätter eines zusammengefalteten Fächers übereinanderliegen. Das sei eine besonders effektive Technik, große Bauten zum Einsturz zu bringen. „Statische Kenntnisse sind dabei nützlich.“ Aber dort, wo kein Stein mehr auf dem anderen steht, sagt er, haben Hariris Sprengkommandos die Zerstörung oft erst kürzlich angerichtet.

„Erst haben sie unsere Grundstücke enteignet und dann die Gebäude gesprengt, die den Krieg überstanden haben“, berichtete Omar Daouq an jenem Abend, den wir nur wenige Kilometer von der „Grüne Linie“ entfernt in seinem Salon verbrachten. Viele Eigentümer hätten ihre Gebäude wieder instand setzen wollen und auch das Geld dazu gehabt. „Das Geschäftshaus meines Großvaters zum Beispiel war aus Kalksandstein gebaut und sehr stabil. Es war unbeschädigt. Sie mußten drei Dynamitladungen zünden, bevor sie es kaputtgekriegt haben.“

Am schlimmsten sollen Hariris Sprengkommandos an Beiruts legendärem „Märtyrerplatz“ gewütet haben, wo die Osmanen 1916 eine Gruppe von Libanesen, Syrern und Palästinensern erhängen ließen, die für die arabische Unabhängigkeit eingetreten waren. „Wenn ihr das nächste Mal hier seid, werden auch diese Gebäude womöglich nicht mehr stehen“, sagen unsere Begleiter und deuten auf das Kino und das alte Opernhaus. „Nur das Denkmal in der Mitte soll bleiben.“

Am Fuße der großen, von Schüssen durchbohrten Skulptur aus eisernen Männerkörpern treffen wir einen jungen Mann namens Ahmad. „Ich bin kürzlich da hinten eingezogen“, erklärt er und deutet auf ein solides altes Appartementgebäude an der Nordseite des Platzes, das uns bis dahin leerstehend erschienen war, „aber wer weiß, wie lange ich dort bleiben kann.“ Nach den Plänen, die wir in der Universität gesehen haben, ist auch dieses Haus zum Abriß vorgesehen. Unter Ahmads Führung steigen wir in dem dunklen Treppenhaus bis in den fünften Stock. Strom gibt es keinen, das Treppengeländer fehlt, auf den Absätzen vorsichtige Blicke durch leere Türhöhlen, mal in die Tiefe des Aufzugschachtes, mal in zertrümmerte, aber dicht bevölkerte Wohnungen. Gegen den kalten Wind, der durch die offenen Tür- und Fensteröffnungen pfeift, haben die Bewohner Holzverschläge in den Zimmern gebaut.

Ganz oben hat sich Ahmad mit einem Freund in einem Balkonzimmer eingerichtet. Während er draußen auf einem kleinen Gaskocher Kaffee zubereitet, erzählt er Geschichten. Ja, auch er sei Kämpfer in einer Miliz gewesen. „Leute wie ich müssen jetzt versuchen, bei der Polizei oder der Armee unterzukommen.“ Nicht, daß er nichts anderes könne als schießen. Er habe als Bauarbeiter, Träger und Fahrer gearbeitet. „Aber um richtig ins Geschäft zu kommen, mußt du beim Staat arbeiten. Nur so kommt man hier an die nötigen Beziehungen.“

Ein Blick vom Balkon herunter: Tief unten laufen Kinder zwischen einer Ruine und einem Schlagloch hin und her, das die Straße – oder was von ihr geblieben ist – schwer passierbar macht. Aus der Ruine holen sie irgendeinen Stoff in roten Tüten, den sie in das Loch schütten. Ein junger Mann stampft die Substanz mit den Füßen fest. Der Rückweg zum Hotel führt an der Stelle vorbei: das Loch füllen zusammengeklebte Spaghetti. Die Kinder haben sie wohl im Lager eines zerstörten Supermarktes gefunden.

Von der geplanten Kahlschlagsanierung in Beirut werden nach Schätzungen über 100.000 Menschen betroffen sein, wenn man die Mieter, die Flüchtlinge und die Eigentümer zählt. Ob es für die Stadt nach dem Krieg keine Alternative zur Fortsetzung der Zerstörung mit anderen Mitteln gibt, nach den Zeiten der Unregierbarkeit keine andere Möglichkeit, als die Machtübernahme durch eine Immobiliengesellschaft des Ministerpräsidenten? „Im Krieg haben sie Beirut physisch zerstört, nun töten sie auch die Seele unserer Stadt“, sagt Omar Daouq.

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