Spielte Jelzin Tennis?

■ Oder war der Präsident betrunken?

Moskau (taz/wps) – „In der zweiten Hälfte des 27. Aprils unterzog sich der russische Präsident Boris Jelzin einer geplanten medizinischen Prozedur, während der ihm eine Stärkungsmassage verabreicht wurde“. Mit diesen Worten beginnt eine Meldung der russischen Nachrichtenagentur interfax, mit der diese am Samstag abend auf die Spekulationen über den angeblich betrunkenen Jelzin reagierte. Kurz zuvor war der Präsident überraschend erneut vor dem Volksdeputiertenkongreß erschienen und hatte – sichtlich angeschlagen – einen neuen Angriff seiner konservativen Gegner zurückgewiesen. Interfax erläuternd: „Nachdem der Präsident von den Ereignissen im Sitzungssaal erfahren hatte, traf er die Entscheidung in den Kreml zu fahren, wobei es ihm nach einer heißen Dusche nicht gelang, sich in die vom Protokoll vorgeschriebene Ordnung zu bringen. Dieses im einzelnen erklärt die Veränderung der Frisur des Präsidenten Rußlands.“

Die Nachrichtenagentur stand mit ihrem Versuch, den Auftritt Jelzins zu erklären, nicht allein. Jelzin selbst suchte seine Nüchternheit nicht nur beim Bad in der Menge, sondern auch im Gespräch mit einer amerikanischen Journalistin zu demonstrieren. Ihr Interview mit einem Kongreßmitglied unterbrechend, teilte er mit, „drei Tage nicht geschlafen zu haben“. Ein Berater Jelzins schien dagegen weniger an dessen physischer Konstitution zu zweifeln: „Der Präsident war nach einem Tennismatch einfach ein bißchen außer Atem.“

Ganz anders sahen das die Gegenspieler Jelzins: „Dieser große Tag endet in einer typisch russischen Weise. Der Präsident ist sturzbesoffen“, rief der Abgeordnete Andronov ins Plenum. „Er ist ein kranker Mann, wir wissen nicht, was er als nächstes tut.“ Zu einer feministischen Anklage sah sich die Deputierte Sorokina inspiriert: „Genossen Deputierte, fast alle von Euch sind Männer. Wie lange wird das noch so sein?“ her