Frankreichs Rechte ohne Opposition

Größte Übermacht im Parlament seit 1815: Vier-Fünftel-Mehrheit für Konservative/ Sozialisten verlieren 200 Sitze/ Rocard gescheitert/ Front National und Ökoparteien gehen leer aus  ■ Aus Paris Bettina Kaps

Im zweiten Wahlgang zur französischen Nationalversammlung haben die WählerInnen den überwältigenden Sieg des konservativen Parteienbündnisses bestätigt: Die neogaullistische RPR, die liberal-konservative UFD und parteiunabhängige rechte Kandidaten haben 484 der insgesamt 577 Sitze erobert. Das entspricht einer Vier- Fünftel-Mehrheit. Mit einem Vorsprung von 34 Sitzen vor der UDF wurde die RPR stärkste Partei. Die Sozialisten verloren über 200 Sitze, zusammen mit ihren verbündeten KandidatInnen stellen sie jetzt noch 70 Abgeordnete. Diese Zahl reicht gerade dazu aus, um Mißtrauensanträge zu stellen, die natürlich keine Aussicht auf Erfolg haben werden.

Die Kommunisten verloren drei Mandate; sie kommen auf 23 Parlamentarier, womit sie erneut eine eigene Fraktion bilden können. Die Front National und das Ökologische Bündnis scheiterten am Mehrheitswahlrecht: Obwohl sich im ersten Wahlgang 20 Prozent der WählerInnen für diese Parteien ausgesprochen hatten, sind sie im neuen Parlament nicht vertreten.

Während die Konservativen alle Spitzenpolitiker durchgebracht haben, erteilten die WählerInnen zahlreichen sozialistischen Regierungspolitikern eine Abfuhr: So verlor Michel Rocard sein Mandat. Der ehemalige Premierminister galt bislang als zukünftiger Präsidentschaftskandidat der PS und war mit dem Versprechen angetreten, die Linke grundlegend zu erneuern. Nun liegt es in der Hand seiner Parteifreunde, ob er seine Ambitionen weiter verfolgen kann. Durchgefallen sind auch Außenminister Roland Dumas, Industrieminister Strauss-Kahn, Justizminister Vauzelle und Ex-Parteichef Lionel Jospin.

Ihr Mandat sichern konnten hingegen Premierminister Pierre Bérégovoy, Bildungs- und Kulturminister Jack Lang, Stadtminister Bernard Tapie und Parteichef Laurent Fabius, parteiinterner Gegenspieler von Rocard. Obwohl er zuletzt innerhalb der PS stark angegriffen worden war, dürfte er jetzt wohl im Amt bleiben und versuchen, die Umwandlung der Partei selbst zu steuern. In diesem Sinne rief Fabius bereits zu einer „echten Mutation“ der gesamten Linken auf.

In den gut einhundert Wahlkreisen, in denen die rechtsextreme Front National ihre KandidatInnen bis zum zweiten Wahlgang halten konnte, sorgte eine republikanische Front von linken und rechten Wählern für deren Scheitern. Der bislang einzigen FN-Abgeordneten, Marie-France Stirbois, fehlten rund 100 Stimmen zum Sieg, auch Parteiideologe Bruno Megret verfehlte sein Ziel äußerst knapp. Parteichef Jean- Marie Le Pen fiel mit 47 Prozent in Nizza durch. Auf seiten der Grünen mußte die populäre Parteisprecherin Dominique Voynet ihre Hoffnungen begraben; sie machte dafür das „ungerechte Wahlrecht“ verantwortlich.

Der Sieg der Konservativen ist so enorm, daß die Kommentatoren fast zwei Jahrhunderte zurückgehen müssen, um eine vergleichbare Situation zu finden: 1815, unter Ludwig XVIII., gab es einmal ein Parlament, in dem eine Kraft so übergewichtig war wie jetzt. In allen anderen französischen Instanzen haben die rechten Parteien schon längst das Sagen: Sie regieren den Senat, sie halten in fast allen großen Städten die Rathäuser, sie stellen in drei Viertel der Departements und in 20 der 22 Regionen die Präsidenten. Nur noch das Amt des Staatspräsidenten ist in sozialistischer Hand, François Mitterrand ist bis 1995 gewählt. RPR- Chef Jacques Chirac steht als aussichtsreichster Kandidat für seine Nachfolge an.

In der Wahlnacht vermieden die Wahlsieger jeglichen Triumphalismus. Chirac versuchte, seine Basis zu zügeln: „Die neue Mehrheit muß ihren Sieg zu beherrschen wissen“, sagte er. Da viele Abgeordnete gewählt wurden, die zwölf Jahre lang vor Ort um ihr politisches Überleben gekämpft hatten, könnte das Parlament versucht sein, dem neuen Premierminister eine harte Gangart aufzuzwingen. Ohne nennenswerte Opposition drohen der Rechten innere Zwistigkeiten. In der Europa-Politik gibt es bereits jetzt in der RPR zwei entgegengesetzte Lager. Um Machtkämpfen vorzubeugen, sprach sich Chirac ausdrücklich für eine tolerante und offene Politik aus. Er stellte auch die anstehende cohabitation zwischen rechter Regierung und linkem Präsidenten nicht mehr in Frage.

Pierre Bérégovoy bedauerte die „ungerechte Sanktion“ der Wähler. Er reichte gestern mittag seinen Rücktritt als Premierminister ein. Mitterrand dürfte spätestens heute den neuen Regierungschef bestellen. Es gilt als sicher, daß er den Ex-Finanzminister und RPR- Politiker Edouard Balladur berufen wird.