: DDR-Daten mißbraucht
■ "Kampagne gegen Wehrpflicht": Ostberliner Wehrpflichtige werden benachteiligt / Protest am Tag der Einberufung
Berlin. Auf die Benachteiligung Ostberliner Wehrpflichtiger gegenüber ihren Westberliner Altersgenossen hat die „Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär“ hingewiesen. Die Kreiswehrersatzämter griffen bei der Einberufung zur Bundeswehr auf „illegal erworbene“ Daten zurück, die die Nationale Volksarmee der DDR erfaßt habe, so Christian Herz als Sprecher der Kampagne. Der entmilitarisierte Status der Stadt habe diese Ostmusterungen eigentlich verboten. Während in Westberlin der Jahrgang 1968 nicht mehr von der Musterung erfaßt worden sei, nutze die Bundeswehr diese Daten nunmehr zur Einberufung von Ostberlinern.
Am Donnerstag sollen bundesweit Rekruten eingezogen werden. Gegen diese Maßnahme, die in Berlin rund 1.000 Wehrpflichtige betrifft, plant die „Kampagne“ auf dem Bahnhof Alexanderplatz wieder eine Protestaktion. Geplant ist unter anderem, Erfassungsbögen, Musterungsbescheide und Werbeprospekte der Bundeswehr öffentlich zu vernichten. „Wir werden nicht tolerieren, daß die Wehrpflicht in Berlin zur Normalität wird“, so Christian Herz.
Betroffen von der verschärften Einberufungspraxis sind laut Herz außerdem ehemalige Wehrflüchtlinge und Männer mit doppelter Staatsbürgerschaft. Ein Beispiel: Der 30jährige Diplomingenieur Klaus-Jürgen Waltermann berichtete, daß sein Antrag auf Kriegsdienstverweigerung im Bundesgebiet dreimal abgelehnt worden sei. Daraufhin sei er nach West-Berlin gezogen. Seit der Wende ist er in einem Betrieb zur Vernichtung von Munition der ehemaligen NVA tätig. Zum 1. April liege ihm nun der Einberufungsbescheid vor, der seinen weiteren beruflichen Fortgang gefährde. Zweites Beispiel: der aus der Türkei stammende Ertunc Irenan. Er berichtete, daß er kurz nach Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft aufgefordert worden sei, seinen Soldatendienst zu leisten. Als Ausländer fürchte er sich, in eine überwiegend deutsche Truppe zu gehen. Rechtsradikale Vorfälle hätten dort in letzter Zeit zugenommen, bestätigte Herz. Es gebe sogar Vorgesetzte, die diese Tendenzen unterstützen. epd/taz
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