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Loser Takes All

■ Der Oskar für Clint Eastwoods Antiwestern „Erbarmungslos“

Daß die Preisverleihung der Berlinale-Jury nicht nur ohne Peinlichkeit abging, sondern sogar noch vertretbar, geradezu lobenswert war, das hat man inzwischen geschluckt. Wie es aber kommt, daß in Hollywood, der Hochburg des Ihh-baba-Hochglanz-Mammut-Budget-Kinos ein Western für Loser, noch dazu von und mit Dirty Harry Clint Eastwood die Oskars für den besten Film und die beste Regie bekommen hat, das wissen die Götter. „Erbarmungslos“ beginnt in einem Bordell des wüsten Oklahoma; Kerzenlicht, verklammerte Paare, lautes Stöhnen – plötzlich zieht ein durchgeknallter Freier seiner Partnerin mit einem Messer übers Gesicht. Gene Hackman, auch er zu recht mit einem Oskar für die beste Nebenrolle ausgezeichnet, vertritt das mürbe gewordene Gesetz, das den Frauen eine gerichtliche Bestrafung des Assassins verweigert. So bleibt ihnen nur die Selbstjustiz. Sie legen zusammen für einen gedungenen Killer; jemand findet Clint Eastwood auf einer verfallenen Ranch, mit zwei Kindern und ohne Frau. Er, der einmal als der schnellste Colt der Gegend galt, kommt nicht einmal mehr aufs Pferd; findet den Weg nicht, hat Angst, ist eh innerlich dagegen ... Ein Loser-Western für die Post- Reagan-Ära, ein Autorenfilm im Geiste Peckinpahs – eine überzeugende Wahl. Wenn man sich da die letzten Jahre vor Augen hält: „Rain Man“, „Miss Daisy und ihr Chauffeur“, hochdotierte Massenware für die schnelle Mark, dann freut einen das irgendwie.

Ungewöhnlich war auch, daß eine Schauspielerin, die eher europäische Filmtradition als amerikanische Gegenwart verkörpert, den Preis für die beste Schauspielerin erhält: Emma Thompson, in Amerika erstmals bekannt geworden durch ihre schillernd-zwiespältige Rolle im Mystery-Drama ihres Lebensgefährten Kenneth Branagh, „Dead Again“, erhielt die Auszeichnung für ihre Rolle in „Howard's End“, ein Film über den Zerfall bürgerlicher Lebenswelten im London des fin de siecle – ein denkbar unamerikanisches Thema. Endlich wurde auch Al Pacino mit dem Oskar geehrt, für den er bei jedem neuen „Paten“ vorgeschlagen worden war. Daß er diesen Preis ausgerechnet in dem Augenblick erhält, in dem ein schwarzer Schauspieler, nämlich Denzel Washington, für die Verkörperung eines Revolutionärs einen viel aktuelleren Anspruch gehabt hätte, nimmt der Auszeichnung allerdings ein bißchen von ihrem Glamour. Völlig unverständlich ist auch, daß Judy Davis, unser aller spitzmäuliges alter ego, für ihre fulminante Hosenrolle in „Husbands and Wives“ nicht höchst geehrt wurde (wg. Pädophilie des Regisseurs). Statt dessen eine Verlegenheitslösung: „Beste weibliche Nebenrolle“ ging an Marisa Tolmein.

Ohne Scheiß kein Preis: Den Oskar für den besten fremdsprachigen Film erhielt die Kolonialschmonzette „Indochine“, während „Schtonk“ leer ausging. Wär' ja auch zu und zu schön gewesen.

Mariam Niroumand

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