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Im Halbfinale

Deutsche Erstaufführung am Berliner Schloßpark-Theater: Harald Juhnke als Blinder in Peter Turrinis „Alpenglühen“  ■ Von Klaudia Brunst

„Alle saßen sie im Zuschauerraum, die mich belächelt und verachtet hatten, und warteten auf meine Niederlage. Ich stand in der Gasse und dachte, ich sterbe. Ich ging hinaus und sprach den ersten Satz... Was soll ich sagen, es wurde ein unbeschreiblicher Triumph.“ Wie oft wird Harald Juhnke bei den Proben zu Peter Turrinis „Alpenglühen“ diesen Satz aus dem Mund seiner Kollegin Hannelore Hoger gehört haben, jenen Satz, der auf ihn paßt wie wohl kein anderer.

Eher in Unehren ergraute Harald Juhnke als deutscher Frank Sinatra, als Säufer der Nation, in bundesdeutschen Unterhaltungsshows. Da bezauberte er mal sein treu ergebenes Fernsehpublikum als nonchalanter Entertainer, um es gleich wieder mit ungezügelten Sauftouren auf und hinter der Bühne zu düpieren. Die Ausnüchterungsstationen der Krankenhäuser zwischen Flensburg und München – er kannte sie wohl mindestens so gut wie die Showbühnen von Saarbrücken bis Berlin. Ein wankelmütiges Stehaufmännchen, vom ZDF wenigstens so häufig gefeuert wie zurückgeholt, mit großen Visionen im Herzen und oft zuviel Alkohol im Blut.

Ganz oben und ganz unten kennt er sich bestens aus, nur das Mittelmaß der Beständigkeit ist Harald Juhnke eher fremd. So fremd, daß er vor zwei Jahren noch die Rolle des Salieri in Peter Shaffers „Amadeus“ im letzten Moment zugunsten eines doppelten Whiskeys drangab. Nein, die Segnung der Mittelmäßigkeit ist seine Sache wahrlich nicht.

Seit einiger Zeit nun bereist er die Talk-Shows mit einer (vielleicht letzten) genialischen Botschaft: Ins Ernste drängt es den wieder einmal trockenen Alkoholiker von Gottes Gnaden. Vor fünf Jahren gab er – thematisch noch recht artverwandt – den „Entertainer“ von Osbourne, dann sah man ihn als windigen Redakteur in „Schtonk“, kürzlich drehte er den „Papagei“. Nun also legt sich der 63jährige, den man sonst nur in eitelstem Zwirn kennt, nackt auf die harten Bühnenbretter des Berliner Schloßpark-Theaters. Und unten im Zuschauerraum sitzen die Leute, die ihn stets belächelt und verachtet haben, und warten auf seine Niederlage.

„Still und finster, wie immer“, eröffnet Harald Juhnke im Dämmerlicht eines frühen Bühnenmorgens seine Tour de force, zieht sich langsam an, schiebt die dunkle Brille vor die toten Augen. So nimmt der Tag auf der Tiroler Almhütte seinen Lauf. Seit vierzig Jahren lebt der Blinde hier in innerer wie äußerer Abgeschiedenheit. „Was gibt es Neues in der Welt?“ fragt er seinen Laufburschen. „Alle Menschen sind glücklich und leben in Frieden“, meldet der ihm mechanisch von unten im Tal. Des Blinden größter Wunsch ist eine junge Frau, eine Studentin vielleicht, die ihm mit geistvollen Gesprächen die Zeit vertreiben möge. So schrieb er an den Blindenverein – und wirklich, gestern abend ist sie angekommen, schläft jetzt auf dem schmalen Campingbett noch eben die letzten Stunden der Nacht aus.

Als dann die Sonne aber auf der Hinterbühne gänzlich aufgegangen ist, entpuppt sich der unschuldige Engel als verkommene Nutte, der Blinde als impotent, und kaum ist eine Stunde im Schloßpark- Theater vergangen, ist niemend mehr der, der er zu sein vorgab. Kein Wort mehr, auf das man vertrauen könnte. Unaufhörlich setzt Peter Turrini jeder absurden Wendung noch eine abstruse hinzu. Die Hure Jasmine will plötzlich die Sekretärin des Blindenvereins sein, später dann enthüllt sie sich noch einmal: als völlig erfolglose Schauspielerin mit einer pathologischen Neigung zu Shakespeare. Und auch der Blinde wird Stück um Stück demontiert. Ob er sein Augenlicht nun bei einem Atomtest verlor oder doch ein illegaler Nazi ist – wer weiß es?

„Ich bin ein Imitator. Ich imitiere das Schicksal eines Blinden ... Ich sehe nichts mehr“, läßt Turrini seinen Helden sagen, denn der österreichische Erfolgsautor hat seine momentane Sinn- und Schaffenskrise in „Alpenglühen“ für immer verewigt: „Ähnlich wie meine Figuren weiß ich im Augenblick überhaupt nicht, in welcher Welt ich mich eigentlich befinde“, kommentiert er sein neues Stück, das im vergangenen Februar von der Wiener Burg uraufgeführt wurde. Angesichts der aktuellen Nachrichtenlage sei in seinem Kopf nur mehr „ein Weltenmüll“. Kaum mehr als ein intellektuelles Desaster ist dieses Stück, mit dem das Berliner Premierenpublikum am Sonntag zu Recht nur wenig anzufangen wußte. Aber ein Triumph für Harald Juhnke, der zumindest seinen persönlichen Kampf nach zwei Stunden gewonnen hatte.

Eine leichte Übung war es nicht, Turrinis Hasensprünge, die Regisseur Alfred Kirchner zudem vom Blatt weg inszeniert hatte, glaubhaft zu verkörpern. Und auch Hannelore Hoger, die als Jasmine äußerst facettenreich agierte, drohte den späten Debütanten ein ums andere Mal an die Eiger Nordwand zu spielen. Aber Juhnke wehrte sich mit allem, was ihm zur Verfügung stand, und das war erstaunlicherweise nicht wenig. Geschickt senkte er seine aus profaneren Zusammenhängen allzu bekannte Stimme um eine kleine Nuance ab, verbannte über weite Strecken den sprachlichen Schlenz, der ihn als Entertainer berühmt gemacht hatte, von der Bühne und stellte so auf angenehme Weise den Juhnke hinter den Blinden zurück. Etwas kurzatmig und hauchig zu Beginn, drehte er mit jedem von ihm abverlangten Typenwechsel mehr und mehr auf, zeigte uns mal den Despoten, mal den Verzweifelten – nur selten verfiel er ins altgewohnte Markieren.

Die, die unten im Zuschauerraum auf seine Niederlage gewartet hatten, dankten es ihm, wie auch Hannelore Hoger, am Ende mit wohlwollendem Applaus, deutlich abgetrennt von den Unmutsbekundungen für Alfred Kirchner und Peter Turrini, die schlußendlich zwar tapfer, aber nicht gerade glücklich ebenfalls vor den Vorhang treten mußten.

Auf dem Weg ins Charakterfach sei er nun wohl „im Halbfinale“, ließ Harald Juhnke auf der anschließenden Premierenfeier wissen. Was also gibt es nun Neues in der Welt, Herr Turrini? Einen veredelten Harald Juhnke. Hoch oben in den Alpen des Erfolgs ist er derzeit glücklich und lebt dort trocken in Frieden.

Peter Turrini: „Alpenglühen“. Regie: Alfred Kirchner, Bühne: Vincent Callara, Kostüme: Joachim Herzog. Mit Harald Juhnke, Hannelore Hoger, Benjamin Utzerath und Werner Koller.

Weitere Vorstellungen: heute und am 5., 9., 12., 16. und 25. April, Schloßparktheater Berlin

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