: „Bei einem Abzug würde sofort der Krieg ausbrechen“
■ Interview mit dem Australier John Mells (38), Sprecher des UNPROFOR- Kommandos in Kroatien, zur Kritik am Einsatz der UNO-Blauhelme vor Ort
taz: Herr Mells, die kroatischen Medien werfen UNPROFOR vor, ihr Mandat nicht zu erfüllen...
Mells: Sowohl die serbische wie auch die kroatische Seite haben eigene, gegensätzliche Auffassungen vom Auftrag der UNPROFOR. Beide wollen natürlich für sich ein Maximum herausholen. Kernpunkt des Friedensplanes für Kroatien, den der UN-Vermittler Cyrus Vance vor einem Jahr ausgehandelt hat, ist, daß die Konfliktparteien miteinander reden. Zumindest die kroatische Seite hat bisher keine Schritte in diese Richtung unternommen. Nach kroatischer Lesart hat die UNPROFOR versagt, was die Rückkehr der kroatischen Flüchtlinge in die UNO-Schutzzonen (UNPAs) angeht. Die kroatische Regierung ist der Auffassung, daß wir versagt haben, weil wir unsere Arbeit nicht innerhalb eines Jahres machen konnten.
Was haben Sie bisher erreicht?
Eine einjährige Waffenruhe. Es ist hier schwierig, zu weiteren Erfolgen zu kommen. Durch den Angriff der Kroaten auf die Brücke bei Maslenica am 22. Januar sind all unsere Bemühungen zunichte gemacht worden. Wir sind heute wieder da, wo wir schon vor einem Jahr waren.
Warum ist es UNPROFOR bisher nicht gelungen, den Flüchtlingen die Rückkehr in die UNPAs zu ermöglichen?
UNPROFOR hat nicht die Möglichkeit, Frieden zu machen. Dazu fehlen uns die Mittel. Serben und Kroaten müssen ihre Meinung bezüglich ihrer gemeinsamen Zukunft ändern. Um die Flüchtlinge in die UNPAs zurückkehren zu lassen, müssen die Konfliktparteien zu einem echten Waffenstillstand kommen. Dieser müßte zumindest einige Zeit anhalten. Wir können und dürfen die Rückkehr der Flüchtlinge in die UNPAs nicht militärisch durchsetzen – das ist die politische Aufgabe der internationalen Konferenz über das ehemalige Jugoslawien.
In den letzten Monaten wurde UNPROFOR in den kroatischen Medien immer wieder angegriffen. So hieß es etwa, die UN-Friedenstruppen hätten nicht einmal eine gemeinsame Kommandosprache. Die Kommandeure hielten sich eher an die Interessen ihrer Regierungen als an die der UNO.
Nichts davon ist wahr. Ich war am Wochenende auf einem Treffen unserer Kommandeure und Militärbeobachter. Ich habe nicht gezählt, wie viele Nationalitäten am Tisch waren, aber unter anderem waren dort Generäle aus Kenia, einer aus Dänemark, Offiziere aus Argentinien, Polen, Nepal und so weiter versammelt. Alle diese Offizieren sprechen englisch, die Kommandeure und Offiziere benutzten diese Sprache ständig und haben keinerlei Probleme. Unsere Befehle erhalten wir von der UNO. Tatsächlich lief in den letzten Monaten eine von der kroatischen Regierung forcierte Kampagne in den Medien. In Kroatien sind die Medien weitgehend gleichgeschaltet. Wir hatten deshalb keine Möglichkeit, der kroatischen Öffentlichkeit unseren Standpunkt darzulegen.
Konkret wurde UNPROFOR u. a. vorgeworfen, die russischen Verbände in Ostslawonien würden mit den dortigen serbischen Truppen zusammenarbeiten...
Dort, wo es zu Disziplinlosigkeiten innerhalb der UNPROFOR gekommen ist, haben wir reagiert: solche Soldaten wurden nach Hause geschickt. Tatsächlich verdienen die russischen Soldaten weit weniger als ihre westlichen Kameraden und sind deshalb des öfteren Ziel von Werbeversuchen beider Seiten geworden.
Wie wird UNPROFOR sich nach einer Verlängerung ihres Mandats in Kroatien verhalten?
Wir hoffen, mehr Soldaten und Material zu erhalten. Wir müssen hier bleiben, weil bei unserem Abzug sofort ein neuer serbo-kroatischer Krieg ausbrechen würde. Interview: Rüdiger Rossig
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