: Gardinenpredigt im Gericht
■ Moslem stellte zweiten Asylantrag, weil er bei Trinkern wohnen mußte
stellte zweiten Asylantrag, weil er bei Trinkern wohnen mußte
„Warum sollte Deutschland Sie überhaupt noch behalten?“ Amtsrichter Harm Beyer sieht vom erhöhten Podest auf den Schwarzafrikaner Moussa* herab. Der blickt mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern auf den Boden des hohen Gerichts. Er ist angeklagt, im vergangenen Jahr zwei Asylanträge gestellt zu haben. Einen davon unter falschem Namen.
Es geht bei dem Verfahren gegen Moussa nicht um eine mögliche Abschiebung. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Flüchtling mittelbare Falschbeurkundung und Urkundenfälschung vor. Moussa ist geständig und räumt in englischer Sprache ein, einen „mistake“ begangen zu haben. Doch in der Ausländerbehörde, übersetzt eine Dolmetscherin, sei ihm zwar erklärt worden, daß er nicht mit Marihuana handeln dürfe. „Nicht aber, daß es verboten ist, einen zweiten Antrag zu stellen.“
Die Stimmung im Gerichtssaal ist kühl und herablassend, als Moussa erklärt, warum er einen zweiten Asylantrag gestellt hat. „Ich wurde in Hammerbrook untergebracht“, sagt er, „dort mußte ich mir das kleine Zimmer mit vier anderen teilen.“ Die anderen rauchten und tranken Alkohol, das konnte Moussa als strenggläubiger Moslem nicht ertragen. Über seinen Anwalt hat er beim Hausmeister mehrmals gebeten, verlegt zu werden. Vergebens. Mit dem neuen Asylantrag konnte er wieder auf ein Wohnschiff ziehen. „Da gibt es Zweibettzimmer.“
Menschliche Gründe, die vor dem deutschen Gesetz nicht zählen. Daß Moussa nicht eigentlich betrügen wollte, hat er bewiesen. Denn eine zweite Sozialhilfezahlung, die er über zwei Monate bekam, hat er von sich aus zurückgezahlt. Es ging ihm nicht um Geld, er wollte eine vernünftige Unterbringung.
Richter Harm Beyer folgte in seinem Urteil dennoch dem Antrag der Staatsanwaltschaft und verur-
1teilte Moussa gnädig zu vier Monaten Haft auf Bewährung („Nach unserem Gesetz sind fünf Jahre möglich“) mit der Begründung: „Der Staat wird immer mehr ausgebeutet.“ Da könne er so etwas nicht durchgehen lassen. Möglicherweise droht Moussa nun doch die Abschiebung. Aber in der Regel wird der Ausgang des Asylverfahrens abgewartet, heißt es von seiten der Justiz.
Das letzte Wort sprach Richter Beyer: „Er soll diese milde Strafe nicht zum Anlaß nehmen zu glauben, daß er ein geringfügiges Vergehen begangen hat.“ Und mit erhobenem Zeigefinger drohte er Moussa: „Never do it again.“ Torsten Schubert
*Name des Flüchtlings geändert
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