: Solidarpakt: Sozi wird doch gekürzt
■ Wohlfahrtsverband; Sozialhilfe-EmpfängerInnen müssen schon jetzt um alles kämpfen
Solidarpakt: Sozi wird doch gekürzt
Wohlfahrtsverband: Sozialhilfe-EmpfängerInnen müssen schon jetzt um alles kämpfen
Eine Dienstanweisung von der Senatorin gibt es noch nicht, doch schon jetzt bläst den Bremer SozialhilfeempfängerInnen ein schärferer Wind entgegen: „Vieles, was vorher selbstverständlich bewilligt wurde, kann nur noch im Kampf durchgesetzt werden“, so die Erfahung des Vereins „Solidarische Hilfe“.
Plötzlich zahlt das Sozialamt die Haftpflichtversicherung für eine Familie mit kleinen Kindern nicht mehr ohne weiteres: „Erst ab drei Jahren, denn Säuglinge können nichts kaputt machen, außerdem haben Sie doch die Aufsichtspflicht“, wurde einer Mutter beschieden. Und auf einmal haben auch Einzelanträge für Kinderkleidung kaum noch eine Chance. In den Genuß der Bekleidungspauschale kommt man jedoch erst nach einem halben Jahr — „aber Kinder wachsen so schnell“, beschreibt eine Frau die Misere.
Was sich heute wie vorauseilender Gehorsam von SachbearbeiterInnen ausnimmt, könnte noch in diesem Jahr Gesetz werden: Laut Solidarpakt sollen bei der Sozialhilfe bis zum Jahresende 700 Millionen Mark eingespart werden. Richtig gehört: bei der Sozialhilfe. Daß an den Armen nicht gespart werde, wie es jüngst durch alle Medien ging, das sei eine bittere Mär, sagt Gertrud Ehrling, Landesgeschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Bremen.
Wenn Wedemeier sich brüstet, in Bonn die Kürzung der Sozialleistungen verhindert zu haben, dann ist das nur die halbe Wahrheit, so Ehrling. Sicher, Arbeitslosengeld zum Beispiel wird nicht linear gekürzt.
Gespart wird trotzdem, nur subtiler. Zum Beispiel bei den einmaligen Beihilfen für den Kauf von Kleidung oder Hausrat. Diese werden oft tituliert als Kann-Leistungen, doch sie sind durch viele Gerichtsurteile zum Anspruch geworden. Diese Leistungen sollen restriktiver gewährt werden: Keine Waschmaschine mehr für Mutter-und-Kind-Haushalt? Kein Bademantel für die Kurbedürftige? Geplante Einsparung schon für das Jahr 1993: 100 Millionen Mark.
Geradezu ungesetzlich, so der Wohlfahrtsverband, sei die geplante „Deckelung“ des Regelsatzes: Die Sozialhilfe soll nicht mehr um die jährliche Preissteigerungsrate erhöht werden (1992: vier Prozent), sondern nur noch um drei Prozent.
Gar keine Hoffnungen auf Erhöhung brauchen sich bald die vier- und mehrköpfigen Familien machen: Sie sollen zwei Prozent weniger bekommen. Egal, wie die Preise steigen, ihr Einkommen wird eingefroren. Eine Familie kann schließlich billiger wirtschaften, behauptet Bundesfamilienministerin Hannelore Rönsch. Ein Gerücht, sagt dagegen Gertrud Ehrling, das sei „durch keine Untersuchung bisher belegt“. Bei der Miete werden ohnehin nur die tatsächlichen Kosten ersetzt, und die Haushaltsgeneralkosten bekommt auch nur eine Person, nämlich der Haushaltsvorstand.
Geringere Anpassung an die Preissteigerung und weniger Geld für Familien: allein diese beiden Maßnahmen sollen in diesem Jahr 410 Millionen Mark einfahren. Das gesamte Sparpaket nennt sich „Novellierung des Bundessozialhilfegesetzes“ und ist Teil des „Solidarpaktes“ (korrekter Titel: Föderales Konsolidierungsprogramm).
Möglichst noch vor der Sommerpause wollen die ParlamentarierInnen darüber abstimmen. Derzeit berät eine kleine Runde von vier Landesfinanzministern zusammen mit Bundesfinanzminister Waigel über die konkreten Sparvorschriften.
Um den Solidarpakt als Mogelpackung zu entlarven, hat nun der Paritätische Wohlfahrtsverband einen Offenen Brief an Sozialsenatorin Gaertner geschrieben. Ihre Pressesprecherin Andrea Frenzel-Heiduk hält jedoch an der offiziellen Meinung fest, daß Bremen zusammen mit den SPD-regierten Ländern eine Kürzung der Sozialhilfe verhindert habe. Und daß schon jetzt weniger Kann-Leistungen gewährt würden, kann sie sich nicht vorstellen: „Schließlich ist die Auslastung bei Bekleidungspauschalen in Bremen höher als in anderen Bundesländern“. cis
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