piwik no script img

Anleitung zum Unglücklichsein Von Michaela Schießl

Keine zehn Jahre ist es her, als Horst Opaschowski vom Freizeitforschungsinstitut zu Hamburg, den Deutschen als enthemmtes Freizeittier enttarnte. „Wir sind auf dem Weg in die Freizeitgesellschaft“, frohlockte „Opi, der Freizeitpapst“. Dies ist so, weil der Deutsche immer weniger arbeiten muß. Und mehr nachdenken kann über individuelle Werte. Die Freizeit wird der Deutschen neues Glück. Doch nun schreckt uns der liebe Opi plötzlich mit einer ganz anderen Studie aus dem Aerobic-Studio. Eine Untersuchung, die „Perspektiven für Deutschland“ erkannt haben will. Doch das Ergebnis ist niederschmetternd. Die Deutschen sind unzufrieden. Völlig ungerechtfertigterweise, findet Opaschowski, denn immerhin gehe es uns vergleichbar gut — der Lebensstandard ist europaweit ohnegleichen. Warum also ist der Deutsche grantig? Spürnase Opaschowski schnüffelt los. Bei den Westdeutschen, so das Phänomen, handelt es sich um eine eher diffuse, allgemeine Unzufriedenheit, erwachsen aus der Anspruchsinflation, die ein Enttäuschungspotential hervorruft. Merke: Der Reiche kann sich über nichts mehr freuen. Der Ostler wenigstens hat konkrete Sorgen. Bei ihm habe, im Gegensatz zum Westler, die Arbeit Priorität vor der Freizeit. Man will halt immer das, was man nicht hat. Beiden Deutschentypen ist gemein, daß ihnen immaterielle Werte am allerwichtigsten sind. Die Glückshierarchie: Gesundheit (95%), Partnerschaft (85%), Familie (85%) und Natur (83%). Was sich eindeutig in der konkreten Freizeitgestaltung widerspiegelt: Der deutsche Durchschnittsmann fühlt sich erst richtig wohl, wenn er von technischem Spielzeug — Auto und Stereoanlage — umgeben ist. Die deutsche Durchschnittsfrau entfaltet ihr wahres Ich im trauten Heim, vorzugsweise hinter einem modernen Herd. Was beweist: „In der Freizeit bekommt das Leben eine höhere Qualität, ja ohne Freizeit gibt es keine Lebensqualität.“ Folgerichtig bedeutet das: der Ostler, weil arbeitslos und so mit freier Zeit gesegnet, muß superhyperirreglücklich sein. Ist er aber nicht. Doch Opi hat eine Antwort: Muffensausen. „Der Ostler hat zwar Freiheit gewonnen, aber Sicherheit verloren. Nach Feierabend breitet sich Angst aus. Frauen und ältere Bürger verlassen ihre Wohnung nicht mehr, weil die Freizeit im Freien zu viele Sicherheitsrisiken birgt.“ Moment mal: Seit wann steht der glücksspendende Herd im Freien? Oder die Stereoanlage? Opi denkt. Wie auch immer. Der ganze Freizeitklimbim ist für den Ostler ohnehin zu teuer. Der Westler indes kann sich Freizeitkonsum leisten — aber leider, leider, er übertreibt! Totalen Freizeitstreß macht Opi bei den Westlern aus und muß heftig mit ihnen schimpfen. „Muße ertragen und Bescheidenheit praktizieren sind offenbar seltene Tugenden.“ Der Wohlstand und die geringe Arbeitszeit haben keine positiven Auswirkungen auf die individuelle Lebensqualität, sagt die Untersuchung. Und kommt zu einer revolutionären Erkenntnis: „Wer im Konsumwohlstand lebt, lebt angenehmer, aber stressiger. Wer vom Wohlstand träumt, lebt eher unbequem, aber beschaulicher.“ So, nur viel kürzer, hat mich meine Mutter auch immer getröstet: Arm, aber glücklich.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen