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Mieses Opium des Volkes

■ Sanktpaulianisch-Orthodox: Ein weiterer konfessioneller Tiefpunkt der Kurie Millerntor beim 1:0 gegen den VfB Oldenburg

Ein weiterer konfessioneller Tiefpunkt der Kurie Millerntor beim 1:0 gegen den VfB Oldenburg

Nur ein einziges Mal hob das Auditorium an, um den Rummel vom benachbarten Dom zu übertönen: Das war etwa gegen 16.15 Uhr, als Ari Hjelm das 1:0 für den FC St.Pauli erzielte und gut 15000 Zuschauer in einen Taumel fielen, der etwas ahnen ließ vom Druck, den die Szeneasten rund um das Millerntor allmählich doch verspüren, so wenige Wochen vor Saisonschluß – und so wenige Punkte vom Abstieg in die Amateurgefilde entfernt.

Darüber hinaus war das Spiel der Hamburger gegen die mutmaßlichen Absteiger vom VfB Oldenburg das Grauenhafteste, das Unsäglichste, das der FC St.Pauli seinem Volk in den letzten Jahren vorzusetzen beliebte. Es war, kurzum: eine Publikumsbeschimpfung, die sich als Zweitligapartie der mittleren Ebene ausgab.

Es kann nur mit religiösen Anmutungen begründet werden, warum die Mannen des Trainers Seppo Eichkorn so viele Zuschauer anziehen, wie so manch Erstligaverein nicht. Vielleicht muß erkannt werden, daß jede Glaubensrichtung — in diesem Fall: sanktpaulianisch- orthodox — auch ihre Alptraumphasen kennt. Am Sonnabend unterzogen die Fußballer um den geglückten Import Ari Hjelm die Zuschauer der nackten Inquisition.

Einer der Gequälten stellte gar nach Beginn der zweiten Halbzeit fest, daß er so viele Leute bei einem Rugbyspiel noch nie gesehen habe. Und um die Szene abzurunden: Niemand widersprach ihm. Höhepunkt der Bolzerei zu Leitenden-Angestellten-Tarifen war ein Bodycheck des Oldenburgers Jack, der nämlichen Hjelm per Körperwurf zu Boden streckte.

Anders formuliert: Die Schar der Millerntorjünger nimmt nicht ab, der Weg ins Zweitligamittelfeld ist offen, demnächst könnte selbst der SV Meppen überholt werden – welch Schmach für eine Mannschaft, die vor noch gar nicht so langer Zeit willens und in der Lage war, einen kommenden Meister wie den 1. FC Kaiserslautern mit 1:0 in die Pfalz zurückzuschicken.

Heute stehen beim FC St.Pauli Vertragsverhandlungen für die neue Spielzeit an. Nach der Partie gegen die Oldenburger wird der milde Patriarch Heinz Weisener kaum Chancen haben, seine noch milderen Gaben an die Spieler zu verteilen. Vizepräsident Christian Hinzpeter, eine Art Kardinal Ratzinger der Kurie FC St.Pauli, wird sich nur mit halbem Herzen über den Spielverlauf geärgert haben.

Ihm sind alle Chancen gegeben, den Kader von Luschen zu befreien. Den Gläubigen dürfte dabei ebenso warm ums Herz werden – zumindest jenen, die noch den letzten Rest Fußballverstand bewahrt haben. Arne Fohlin

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