piwik no script img

Psst, weitersagen: Briefe gegen Nazis

■ Ausstellung "Juden im Widerstand" zeigt die Gratwanderung zwischen Überlebenskampf und politischer Aktion / Neben der Gruppe Herbert Baum kämpfen Menschen, von denen kein Geschichtsbuch erzählt

Mitte. In der Hofdurchfahrt zur Rosenthaler Straße 38 erschrickt ein Schatten die Vorbeieilenden. Eine Sekunde durchatmen, dann ein erleichterndes Erkennen. Der schwarze Mann mit Hut ist nur aus Pappe. „Psst, Feind hört mit“ hieß 1941 die nationalsozialistische Propaganda für Konspiration und Wehrwillen. Fast unbekannt hingegen ist, daß es auch eine Widerstandsgruppe in Berlin und Luckenwalde gab, die dieses Symbol des ständig vorhandenen „geheimen Feindes“ auf ihre Flugblätter malte. Psst, weitersagen, hieß ihre Devise. Die Empfänger sollten die Anti-Kriegs-Botschaften zehnmal kopieren und an beliebige Adressen schicken. Es waren Kettenbriefe gegen „Mord und Lüge“ der Nazis, fabriziert von einer Gruppe, die aus vielen Gründen einzigartig war. In der kürzlich eröffneten Ausstellung „Juden im Widerstand“ ist einer der insgesamt zehn Briefe zu lesen, der schwarze Mann weist den Weg zu ihr.

Die vergessene Gruppe hieß „Gemeinschaft für Frieden und Aufbau“, ein Zusammenschluß, der in den großen Darstellungen des Widerstandes überhaupt nicht auftaucht. Etwa dreißig Menschen gehörten ihr an, die meisten – und das macht sie in zweifacher Hinsicht bedeutsam – waren Juden, die sich der Deportation entzogen und in den Untergrund abgetaucht waren. Ihr Initiator war Werner Scharff, der 1943 aus dem KZ Theresienstadt flüchten konnte und in Berlin alles tat, um anderen Illegalen Quartiere und falsche Pässe zu besorgen. Gemeinsam mit seinem nichtjüdischen Freund aus Luckenwalde, dem ehemaligen Justizangestellten Hans Winkler, gründete er einen „Sparverein hoher Einsatz“, um mit dem gesammelten Geld Verfolgte zu unterstützen und darüber hinaus die Flugblattaktionen an die deutsche Bevölkerung zu finanzieren. Kurz vor Kriegsende flog die Gruppe auf, verraten von einer jüdischen Greiferin, die ihre eigene Haut retten wollte. Werner Scharff und andere jüdische Mitglieder wurden im KZ Sachsenhausen erschossen oder brachten sich in der Haft um. Die „arischen“ Mitglieder überlebten, weil der für April 1945 anberaumte Volksgerichtsprozeß in Potsdam ausfiel, die Rote Armee stand schon vor der Tür.

Die Historiker haben es jahrzehntelang versäumt, die Überlebenden zu befragen, um so wichtiger ist die Veranstaltung am 18. Mai (19.30 Uhr) in den Ausstellungsräumen. Ehemalige Mitglieder berichten über die unendlichen Schwierigkeiten, unterzutauchen und gleichzeitig Anti-Kriegs- Aufklärung zu betreiben.

Neben der „Gemeinschaft für Frieden und Aufbau“ werden in der kleinen Ausstellung auch zwei andere, völlig unterschiedliche Gruppen mit Dokumenten, Briefen und Privatfotos vorgestellt. Einmal die „Gruppe Herbert Baum“, in der sich Juden und Nichtjuden zusammenfanden, und die zionistische Jugendorganisation „Chug Chaluzi“. Die Gruppe um Herbert Baum – vor dem Untertauchen ein 17köpfiger Freundeskreis, der später, in mehreren Zirkeln organisiert, über hundert Sympathisanten zählte, begriff sich als Teil des kommunistischen Widerstandes gegen die NS-Diktatur. Einige Mitglieder verübten 1942 einen in der Gruppe heftig umstrittenen Brandanschlag auf die antisowjetische Ausstellung „Das Sowjetparadies“. Viele der nicht einmal zwanzigjährigen Widerständler wurden schon vier Tage später verhaftet, elf Mitglieder hingerichtet. In der Rosenthaler Straße wird es am 15. April (19.30 Uhr) ein Gespräch mit Zeitzeugen geben, hilfreich, weil die in der Ausstellung präsentierten Gerichtsdokumente die Kontroversen innerhalb der Gruppe kaum widerspiegeln.

Im Unterschied zu diesen beiden Gruppen blieb hingegen die „Chug Chaluzi“, zu deutsch Pionierorganisation, ganz unter sich und wirkte auch nicht nach außen. Gegründet wurde sie von Jizchak Schwersenz, einem Lehrer, der jüdische Jugendliche für die Auswanderung nach Palästina vorbereitete. Als die von ihm geleitete Jugendalija-Schule 1941 verboten wurde, gingen er und etwa 20 Halbwüchsige in den Untergrund, lernten heimlich Hebräisch, Englisch und Palästinakunde. Sie wußten, daß die Deportationsbefehle den Tod bedeuteten, Widerstand bedeutete hier, sich für ein neues Leben in Palästina aufzubewahren. „Selbsthilfe: Nicht mitgehen, sondern weggehen“ hieß ihre Devise. Bis auf wenige Ausnahmen gelang es ihnen auch – und dies mit Hilfe aus der Schweiz –, sich allen Verfolgungen zu entziehen. Gad Beck, der nach Schwersenz' Flucht die Gruppe ab Anfang 1944 leitete und viele Jugendliche mit Quartieren, Lebensmittelkarten und falschen Pässen versorgte, wird auf einer Veranstaltung am 23. April (19.30 Literaturhaus in der Fasanenstraße) über den Kampf ums Überleben berichten. aku

Zu sehen bis 31. Mai: Di. bis So. 10 bis 18 Uhr, ein Katalog erscheint in Kürze. Über die „Gemeinschaft für Frieden und Aufbau“ berichten die „Dachauer Hefte“ (Nr. 7).

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen