piwik no script img

Filme eines Pessimisten

■ Werkschau des Dokumentaristen Gordian Troeller in Hamburg

in Hamburg

Ein Schuhknecht in Form einer nackten Frau, zwischen ihren gespreizten Beinen der Absatz eines Männerstiefels. Dieses Bild aus dem Film Herren - Ein Pamphlet gegen die Männergesellschaft ist in seiner drastischen Darstellung kennzeichnend für die Dokumentarfilme Gordian Troellers, dem in diesem Monat in Hamburg eine Retrospektive gewidmet wird.

Der gebürtige Belgier und Wahlhamburger arbeitet seit 1942 als Journalist, zunächst als Korrespondent für verschiedene Zeitungen, unter anderem zehn Jahre für den Stern. Bereits in den 60er Jahren entdeckte er den Film als Medium für seine Berichte, die er seit 20 Jahren für Radio Bremen realisiert. Immer wieder kratzte Troeller an Tabuthemen, sei es mit einem brisanten Bericht über den Umgang Israels mit Palästina, für den er als Antisemit verurteilt wurde, oder mit Die Verlassenen, einem Film über die Straßenkinder Honduras.

Wie in den meisten seiner Berichte, geht es ihm auch hier nicht um die bloße Darstellung des Elends, sondern um die Erforschung seiner Ursachen. Das Interesse der Amerikaner an der Aufrechterhaltung der Not wird ebensowenig verschwiegen wie die Rolle der Entwicklungshilfe in diesem System. Folgerichtig lautet der Titel der Werkschau denn auch Kein Respekt vor heiligen Kühen.

Symptomatisch an Troellers Filmen ist, daß seine Bilder ein um's andere Mal authentisch scheinen. Um das Vertrauen zu schaffen, das für die Natürlichkeit der Aufnahmen notwendig ist, reduzierte der Regisseur sein Team auf zwei Personen. Bis zu ihrem Tod 1984 reiste er ausschließlich mit seiner Mitarbeiterin Marie-Claude Deffarge und auch heute arbeitet er wieder mit einer Frau, seiner Kollegin Ingrid Becker-Ross.

Der weibliche Teil des Teams sei wichtig, um Kontakt zu den Frauen und Kindern herzustellen, erklärt der Regisseur. Immer macht er den Einfluß der Kamera auf das Verhalten der Menschen bewußt, wie in Denn sie wissen, was sie tun, wo Kinder, irritiert durch die Filmaufnahmen, ihre Arbeit unterbrechen.

Doch Troeller läßt die Bilder nicht nur für sich sprechen, sondern zwingt dem Zuschauer in einem erklärenden, manchmal auch zynischen Kommentar seine Sicht der Dinge auf, der Zuschauer und Zuschauerinnen auf den Nutzen stößt, den sie aus dem Notstand des angeprangerten Systems ziehen. Dabei deutet Troeller mit ethnologischem Blick, nicht mit den Augen des europäischen Patriarchaten. Er hat sich die Sicht der Völker aus der sogenannten Dritten Welt zu eigen gemacht, um so die zerstörerischen Mechanismen unseres Systems zu entlarven.

Hoffnung auf Besserung verbreiten Troellers Filme kaum, stellt er die zersetzenden Strukturen doch als irreversibel dar. „Ich dachte erst, man könnte mit diesen Filmen etwas ändern. Ich bin Pessimist geworden. Wir sind eine Selbstmördergesellschaft.“ Babette Schröder

Troeller-Retro im Völkerkunde-Museum (13.4., 20.4., 27.4.), Werkstatt 3 (14.4., 21.4.) und im Haus für Alle (19.4.), Termine siehe Programmteil

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen