: Killermaschine mit Tischmanieren
■ „Weekend of Fear“ – ein erschröckliches Filmfestival in München
Wer trivialen Horror bei dem in München am 26.und 27.März stattgefundenen Festival erwartet hatte, sah sich enttäuscht. Aus allen Teilen der Republik war die Splattergemeinde nach München gereist, um sich zu fürchten: „Weekend of Fear“ heißt das Filmfestival, das nun zum zweiten Mal in München stattfand.
Ein Leckerbissen machte den Auftakt: die Weltpremiere des nach jahrelangen Testvorführungen nun doch endlich fertiggestellten Thrillers des amerikanischen Regisseurs George A. Romero. Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Stephen King inszenierte er einen packenden psychologischen Trip durch das dunkle zweite Ich: ein Schriftsteller (Timothy Hutton) „beerdigt“ sein Pseudonym, unter dem er bislang Stories von Mord und Totschlag verfaßt hatte. Die Figur materialisiert sich und mordet plötzlich nicht nur auf dem Papier. Michael Rooker als Sheriff kommt bei den Untersuchungen dieser unheimlichen Mordserie nicht nur dem Geheimnis auf die Spur, sondern auch dem Psychogramm des Täters bedrohlich nahe. Erinnerungen an Hitchcocks „Vögel“ werden wach.
Am Schluß seines Films hat Romero jahrelang gefeilt und ihn immer mehr zu einem Höhepunkt des surrealistischen Kinos ausgearbeitet. Intelligenter Horror, der 90 Minuten lang unter die Kopfhaut geht.
Unter die Haut geht auch „Bad Lieutenant“, Drehbuch und Regie von Abel Ferrara. Die Apokalypse oder der letzte Tango eines Lieutenants der New Yorker Polizei, der sich von den Bösewichten seines Bezirks nur noch durch eine Polizeimarke unterscheidet. Saufend, koksend und crackend wankt er durch die Bronx, hauptsächlich auf der Suche nach einem dreckigen Deal, mit dem er seine Spielleidenschaft finanzieren kann. Hoffnungslos, da er ewig auf die falsche Baseball-Mannschaft setzt und dadurch sein Konto bei zwielichtigen Geldgebern überreizt. Beiläufig konfrontiert mit der bestialischen Vergewaltigung einer jungen Nonne in einer Kirche – ein bissiger Seitenhieb Ferraras auf Madonnas Videoclip –, gerät der Lieutenant bei seiner Jagd nach den Tätern in eine existentielle Krise, denn er, der eingefleischte Katholik, kann nicht begreifen, daß sie, das junge Opfer, ihren Peinigern vergibt und seine Rache nicht will.
Abel Ferarra zeigt die tiefe, deprimierende Hoffnungslosigkeit einer amerikanischen Unterschicht. Stück für Stück schält er die Krusten voller Dreck von seiner Hauptfigur, beeindruckend von Harvey Keitel gespielt.
„A Point Of No Return“, mittlerweile umgetauft in „The Assassin“, das US-Remake von Luc Bessons „Nikita“, war das dritte Highlight. Ein handwerklich perfekt gedrehter Thriller mit Bridget Fonda als Nina aus der Gosse, die für eine geheime Organisation zur eiskalt agierenden Killermaschine mit exzellenten Tischmanieren geformt wird. Doch ihre Auftraggeber haben ihr „Opfer“ unterschätzt. Die Maschine fühlt und lebt.
Aber was wäre das Weekend of Fear ohne die schon traditionellen Hongkong-Movies? Wie „Hard Boiled“, das Abschiedsgeschenk John Woos an Hongkong. Hartgesotten muß man sein, um diese Gewaltorgie über sich ergehen zu lassen [muß man?, d. s-in]. In Hollywood, seinem neuen Wirkungskreis, wird er ganz offiziell als Nachfolger Sam Peckinpahs gehandelt. Unverständlich, denn Woo ist, im Gegensatz zu Peckinpah, verliebt in Gewalt und Action als reinen filmischen Selbstzweck. Ohne Gespür für die Dramaturgie der Eskalation beginnt der Film mit einer endlosen Actionszene und endet genauso endlos, unterbrochen nur von ein paar belanglosen Zwischenszenen, die den Plot allerdings auch nicht retten können. Das Filmchen ist trivial und höchstens ein Vergnügen für Splatter-Freunde, die Gewalt schon in Ultra-Zeitlupe sehen müssen, um ihre Existenz noch realisieren zu können.
Anders dagegen das Schwertkampfepos „Swordsman II“. Fantasy pur, Kinomagie, gespickt mit technischen Tricks und Spezialeffekten. Ein Märchen voller Ironie und Witz. Jet Lee spielt einen trunkfreudigen Fechtmeister, der sich mit einem Fabelwesen – halb Frau, halb Mann – messen muß. Eine unaufdringliche Liebesgeschichte und witzige hintergründige Dialoge runden dieses rasante Fantasy-Vergnügen des Regisseurs Ching Siu Tun („A Chinese Ghost Story I-III“) ab.
Das Weekend of Fear hat sich mittlerweile etabliert, ohne dabei nach dem Filmestablishment zu schielen und mit diesem zu kokettieren. Die Aufmerksamkeit soll weiterhin den Filmen gelten, die nicht von vornherein als Renner in den Programmkinos eingeschätzt werden. Georg von Grote
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