Zugunglück durch menschliches Versagen

■ Bahn schließt technischen Fehler aus / Staatsanwaltschaft ermittelt wegen fahrlässiger Tötung / Vier Personen im Krankenhaus / VCD warnt vor ICE-Betrieb

Berlin. Nach dem Zugunglück am vergangenen Freitag, bei dem drei Menschen tödlich verletzt worden sind, wollen Bundes- und Reichsbahn die Ursache weitgehend aufgeklärt haben. Erste Erkenntnisse deuteten auf menschliches Versagen hin, sagte Peter Münchschwander, Vorstandsmitglied der beiden Deutschen Bahnen, am Wochenende – technische Fehler könnten ausgeschlossen werden.

Laut Münchschwander sei der aus Wannsee kommende InterCity irrtümlicherweise auf das linke von zwei Gleisen geleitet worden, auf dem dann der D-Zug aus Hannover entgegenkam. Der zuständige Mitarbeiter im Stellwerk Wannsee habe eine Weiche falsch gestellt, der Zugführer des InterCity den Fehler aber nicht bemerkt, obwohl ein entsprechendes Signal nur für das rechte Gleis die Fahrt frei gegeben hatte. Die Züge prallten dann mit einem Tempo von jeweils 70 Stundenkilometern zusammen, die beiden Lokomotiven verkeilten sich, und zwei Waggons wurden schwer beschädigt. Die beiden Zugführer (21 und 27 Jahre) des D-Zugs wurden zerquetscht, eine 38jährige Frau aus Schöneberg verunglückte tödlich.

Von den etwa zwei Dutzend Verletzten – noch gestern widersprachen sich Meldungen bei der genauen Zahl – mußten vier Personen auch am Ostersonntag weiterhin im Krankenhaus versorgt werden. Die Züge verkehren seit Sonntag morgen 6 Uhr auf der Strecke wieder planmäßig, nachdem Gleise in einer Länge von 200 Metern ersetzt worden waren. Der Sachschaden soll sich auf zehn Millionen Mark belaufen.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen gegen den Fahrdienstleiter des Stellwerkes, den die Reichsbahn vom Dienst suspendiert hat. Justizsprecher Bruno Rautenberg sagte gestern gegenüber „Inforadio“, daß der Dienstleiter der fahrlässigen Tötung und der Gefährdung des Bahnverkehrs verdächtigt werde. Allerdings stünden die Ermittlungen erst am Anfang, es müsse noch aufgeklärt werden, „wer hier was zu verantworten hat“.

Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) warf der Bundes- und Reichsbahn vor, Mitverantwortung an dem Unfall vom Freitag zu haben. Auf dem Abschnitt der Unfallstrecke sei mit Hochdruck gearbeitet worden, damit der InterCity-Express (ICE) – wie geplant – in sechs Wochen täglich Berlin anfahren kann. Bauarbeiter müßten die Strecke mit „übertriebener Hastigkeit“ instand setzen, täglich werde das Personal mit veränderten Betriebsabläufen und Bahnkunden mit „Baufahrplänen“ sowie Schienenersatzverkehr konfrontiert, bemängelte Ingo Franßen, Berliner Landesvorsitzender des VCD. Vor zwei Wochen waren auf der Strecke bereits zwei Bauzüge zusammengestoßen, ohne daß dabei jemand verletzt worden war.

Der VCD fordert nun, den Starttermin des ICE zu verschieben. Denn bis zum 23. Mai könnten die Arbeiten an Gleisen und Oberleitung nicht beendet, die Stellwerksanlagen nicht installiert und Signale vorher nicht mehr getestet werden. Da der ICE zwischen Berlin und Hannover bis 1997 ohnehin auf einer für Hochgeschwindigkeit nicht zugelassenen Umleitungsstrecke fahren müsse, sei der nur geringe Zeitgewinn auch mit üblichen InterCity- Zügen erreichbar.

Arbeiten an der Trasse hätten dagegen „überhaupt nichts“ mit dem Unfall zu tun, sagte Barbara Kraßke, Sprecherin der Reichsbahn, gestern und wies damit die Vorwürfe des VCD zurück. Die Bauarbeiten waren auf dem betroffenen Teilstück einen Tag vor dem Unfall beendet worden.

Der Eisenbahnunfall vom Freitag ist der schwerste seit fünf Monaten in Deutschland. Damals war im niedersächsischen Northeim ein D-Zug in einen entgleisten Waggon gerast. Elf Menschen verunglückten tödlich, fünfzig wurden verletzt. Als Ursache wurde eine „Verkettung unglücklicher Umstände“ ausgemacht. Dirk Wildt