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„Chris tat, was alle wollen“

Das ermordete ANC-Führungsmitglied Hani war Verfechter einer Verhandlungslösung / Hauptverdächtiger ist ein antikommunistischer Immigrant aus Polen  ■ Aus Johannesburg Stephen Laufer

In Dawn Park, dem gemischtrassigen Vorort der Bergbaustadt Boksburg, in dem der KP-Generalsekretär und ANC-Führungsmitglied Chris Hani mit seiner Familie gelebt hat und in dem er am Samstag niedergeschossen wurde, stehen noch Stunden nach dem Attentat Menschen vor dem Klinkerbau mit der Doppelgarage. Es sind Nachbarn aus Dawn Park und Verehrer aus dem nahegelegenen Township Vosloorus, wo blutige Auseinandersetzungen zwischen Inkatha, ANC und Polizei die letzten Jahre beherrscht haben.

Der Manager einer Import-Export-Firma, der aus Angst vor der neonazistischen „Afrikaaner-Widerstandsbewegung“ (AWB) seinen Namen nicht nennen möchte, erzählt stolz, daß Dawn Park nach der Aufhebung der Apartheid einer der ersten Vororte war, die nichtweiße Bewohner willkommen hieß. Er ist kein Politiker. Er spricht leise, nach Worten suchend, von der Hoffnung für ganz Südafrika, die Dawn Park darstellt. Von der neighbourhood watch, der Selbsthilfegruppe, die abends patrouilliert und dafür gesorgt hat, daß es seit Oktober keinen einzigen Hauseinbruch mehr gegeben hat. 70 Prozent der Mitglieder sind schwarz. „Es sind gute Menschen, Schwarz und Weiß“, sagt er. Hani hatte geholfen, die Gruppe ins Leben zu rufen.

Die Menschen in Dawn Park sind wie die meisten in Südafrika: Sie sehnen sich nach nichts mehr als nach Normalität. Deshalb planschen Kinder, deshalb mäht einer seinen Rasen, obwohl Soldaten in voller Kampfmontur nicht ganz fünf Meter entfernt Streife gehen. Sie wurden nach Dawn Park geschickt, weil Vosloorus und Katlehong und Thokoza nicht weit entfernt sind, mit ihren straßenkampferprobten Bewohnern.

Tatsächlich kommt ein Township-Bus. Junge Menschen, die auf dem Nachhauseweg von einer Beerdigung gekommen sind, um Trauer- und Kampfeslieder zu singen. Sie sind wütend, traurig. Aber friedlich, und die weißen Bewohner, für die sich nun Entsetzen über den Tod eines Nachbarn mit Sorge über ihren Besitz mischt, atmen auf. Die Friedfertigkeit der jungen Townshipbewohner läßt keine der herkömmlichen Barrieren aufkommen, hinter denen sich Weiß und Schwarz so oft verschanzt haben.

Nombuyiselo Mavi, eine junge Frau aus Vosloorus, bringt es auf den Punkt. Sie steht vor Hanis Haus, man merkt ihr die Anstrengung an, Tränen zurückzuhalten. „Was Chris in dieser Woche machte, war, was alle wollen – Frieden in diesem Land.“

Hani wurde geliebt wie sonst nur Nelson Mandela. Der südafrikanische Guerilla-Führer, KP-Generalsekretär, 50jähriger Familienvater und Shakespeare-Verehrer mit einem Universitätsabschluß in Latein, war in den letzten Wochen der vielleicht eloquenteste Verfechter des Friedens in seinem Land. Am Samstag wurde er in der Garageneinfahrt seines Hauses südlich von Johannesburg niedergeschossen. Hinweise von Augenzeugen führten wenig später zur Festnahme eines ultrarechten Weißen, der jetzt als Hauptverdächtiger gilt. Er kam vor 13 Jahren aus Polen ans Kap, angezogen von einem antikommunistischen Paradies. Nach südafrikanischen Presseberichten war er aktives Mitglied der AWB und der rechtsgerichteten Konservativen Partei. In seiner Wohnung fand die Polizei eine Todesliste mit Namen und Adressen von weiteren Politikern.

Bemerkenswert an diesem Wochenende in Johannesburg ist, was nach dem Attentat auf Hani geschieht. Das Stadtzentrum steht nicht in Flammen, auch Soweto nicht. Es gibt keine massiven Plünderungen. Vielleicht sind die Menschen stumpf geworden, nach Jahrzehnten der alltäglichen Gewalt. Vielleicht liegt es an der politischen Führung, die – noch benommen von der Nachricht, daß ein geliebter Freund, eine ihrer großen Hoffnungen, nicht mehr lebt – zur Ruhe aufruft. Die mit der Ankündigung einer großen Gedenkdemonstration für Mittwoch Wut und Schmerz in eine politische Bahn zu lenken versucht.

Vielleicht liegt es an der Zurückhaltung der Regierung, deren Geheimdienst schon mehrfach versucht hat, Hani umzubringen. Vielleicht liegt es an Nelson Mandela, der zur Hauptsendezeit am Sonnabend abend auf allen Fernsehkanälen spricht. Er lenkt mit der ihm eigenen Geduld die Aufmerksamkeit der Menschen auf das eigentliche Ziel: freie Wahlen. Eine demokratisch gewählte Regierung. Ein Ziel, das nicht mehr weit entfernt liegt, das paradoxerweise durch den Tod von Hani vielleicht noch ein Stück nähergerückt ist.

Beobachter sprechen von einer Zäsur. Von einem Gewaltakt, der Seltenheitswert besitzt, weil er noch schocken kann in einem Land, in dem die Gewalt zur Normalität geworden ist. Von einem Schock, der Besinnung auszulösen scheint. Der vielleicht den entscheidenden Schub gibt, der deutlich macht, daß eine politische Lösung in Südafrika pressiert.

Aber es gibt auch Gewaltakte an diesem Wochenende, die möglicherweise mit dem Attentat zusammenhängen. Mindestens fünf Menschen kommen dabei ums Leben. In der Schwarzensiedlung Lwandle bei Kapstadt werden drei weiße Männer von einer aufgebrachten Menschenmenge angegriffen, als sie Alkohol kaufen wollen. Zwei werden in ihrem Auto verbrannt, dem dritten wird ein Teil der Zunge abgeschnitten. In Soweto erschießt die Polizei einen Mann. Und in dem Johannesburger Stadtteil Phola Park wird ein weiterer Schwarzer erschossen.

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