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Ostersonntag im Rudi-Dutschke-Haus

25 Jahre nach dem Attentat trafen sich Angehörige, Freundinnen, Genossen im Schatten des Springer- Hochhauses in der taz / Scherz, Schalk und Reminiszenz an Rudi und die Revolte  ■ Von Mariam Niroumand

Scheu äugelnd traten wir am strahlenden Ostersonntag in den Krater zur Berliner Kochstraße, welcher dereinst ein italienisches Nobelrestaurant im Paterre des taz-Gebäudes werden soll. In alle Welt hatte die taz den Ruf geschickt, daß diese unsere Gebäude – der charmant-ruinöse und denkmalgeschützte Altbau und der preisgekrönte Neubau, der sich so freundlich um den knorrigen alten schmiegt – daß diese künftig nach Rudi Dutschke benannt werden sollen.

Ein „Rudi-Dutschke-Haus“ steht nun widerborstig der benachbarten Zentrale des Springer-Konzerns gegenüber, mit flackernd roter Schrift anleuchtend gegen die Häppchen-Information und lüsterne Skandalchronik, ein Netzwerk der Gegeninformation in und out of area.

Weiß behängt, mit großen Photos von Anti-Springer-Aktionen, Pariser Barrikadennächten, wasserwerfenden Polizeieinsätzen und Anti-Vietnamkrieg-happenings, Bildnissen des Großen Steuermanns Mao, mit Großstadtmusik von Cream, The Who oder den Doors nahm sich der Krater wider Erwarten wie ein Gemisch aus Schaubühne und Kommune 3 aus.

Gekommen war zahlreich die Familie Dutschke aus Hamburg, Aarhus, Luckenwalde und Potsdam. Gekommen waren Kolleginnen und Kollegen, die inzwischen bei der Konkurrenz arbeiten, ein bißchen prahlen und gönnern, aber uns insgeheim ebenso mpf-mpf schmerzlich vermissen wie wir sie; Unterstützer, Freundinnen und ihre Kinder; geläuterte Aktivisten des bewaffneten Kampfes und deren treue Rechtsbeistände, einstige Kader maoistischer Kleinstparteien, verehrte Mentoren, Professoren und Verleger, frotzelnde Burschen, Angehörige und Liebhaber passionierter Redakteurinnen, die mit freundlichem Schmunzeln goutierten, daß ihre Liebsten auch am Osterfest nicht von ihrer tageszeitung lassen können.

Gekommen waren schließlich auch taz-Mitarbeiter, die aus Protest gegen die Benennung des Hauses, die ihnen irgendwann schlicht verkündet worden war, ihre Arbeitsplätze doch lieber in „Uschi-Obermeier-Etage“, beziehungsweise „Oswalt-Kolle-Oase“ umbenannt hatten.

Mit der bekannten Mischung aus Angst vor lauernden Peinlichkeiten und verhaltenem Stolz sahen wir dann unsere Chefredaktion auf klapprige Kantinenstühle steigen, die Anwesenden begrüßen und die Weihung proklamieren. Kiek mal an: Michael Sontheimer erläuterte knapp und schlüssig, dabei durchaus leuchtenden Auges, die historischen Kontinuitäten und Brüche zwischen denen damals und uns Nachgeborenen, den 68ern und Post68ern: wie die taz 1978 dem „tunix“-Kongress entsprungen, dem erratisch-spontanen, wildwüchsig-ökologischen näher kam als dem Kadergehorsam, dem Feminismus näher stand als der Langhans-Dynastie; daß die taz sich sowohl als eine praktische Kritik der im Gefolge der Studentenbewegung entstandenen Zentralorgane verstand, sich aber gleichzeitig in der antiautoritären und libertären Tradition der Revolte von 68 bewegte, so daß wir trotzdem Verwandte sind (ersten Grades mitunter).

Auch Elke Schmitter jonglierte kurzfristig mit den Haupt- und Nebenwidersprüchen, daß es eine Lust war, kein oben und unten mehr zu erkennen; begrüßte schließlich auch vorsichtig die umherschweifenden Haschrebellen, für die eine sorgende Seele ein paar gerollte Kleinigkeiten beigesellt hatte, die innerhalb kürzester Zeit vergriffen waren.

Genosse Bernd Rabehl strauchelte kurz vor dem kometenhaften Abschweifen seiner schönen Rede ins Pathetisch-Wundersame über die Namensverwechslung von Boris mit Jurek Becker und trat freiwillig und – als auf denkbar höchstem Niveau Gescheiterter – unter solidarischem Gelächter geistesgegenwärtig vorzeitig vom Stühlchen.

Grete Dutschke schließlich, die zur Zeit an einem Buch über ihren Mann arbeitet, freute sich über die Hommage und erinnerte daran, daß Rudi die Gründung der taz unterstützt habe, weil er nicht wollte, „daß die Informationen in den Händen von Gangstern und Mördern wie Springer bleiben sollten“. Sie riet, mit starkem amerikanischen Ostküsten-Akzent, dem „Plastik-Junk, Fernsehkartoffeln, Müllbergen und Streben nach Geld" eine Alternative entgegenzusetzen.

Gretchen Dutschke gab jüngst, zusammen mit Welf Schröter und Karola Bloch den Briefwechsel zwischen Rudi, Gretchen, Ernst und Karola Bloch aus den Jahren 1968 bis 1979 unter dem Titel „Lieber Genosse Bloch...“ heraus.

Karola Bloch, inzwischen 88 Jahre alt, sandte denn auch der Versammlung eine Grußbotschaft aus Tübingen: „Aus Anlaß von Rudis zehntem Todestag haben wir in Tübingen einen kleinen Rudi-Dutschke Kreis gegründet. Vielleicht können wir gemeinsam ein Stück Erinnerungsarbeit zugunsten einer besseren politischen Praxis leisten.“

Karola Bloch würdigt den Freund Rudi Dutschke: „Er verkörperte in wunderbarer Weise die untrennbare Verbindung von Politik und Moral. Ähnlich wie Ernst, der sich in seinem Denken auf die revolutionären Elemente des Christentums stützte, verschmolzen bei Rudi wesentliche Traditionen von Marxismus und Christentum.“

Schließlich wurden die Anwesenden in den Sonntag entlassen, zum italienisch-opulenten Buffet, auf die Sonnenterrasse zu Scherz, Schalk und Reminiszenz, zu knisternd-rätselndem „ist das nicht die Dingsda, die damals...?“ und einem kleinen Windchen vom Mantel der Geschichte.

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