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„Ich heiße Wecker, nicht Becker“

„Deutschlands Vorturner“ Andreas Wecker sucht nicht nur bei den Weltmeisterschaften in Birmingham den Erfolg  ■ Von Holger Gertz

Berlin (taz) – Noch einmal rauf aufs Reck, noch einmal Schwung geholt, hinaufgeschleudert bis fast unter die Decke der Sporthalle, dann die Stange gegriffen nach kurzem Flug, noch einmal fallengelassen in die Matte, daß es kracht. Noch einmal und noch einmal. Stickig ist die Luft im Berliner Sportforum, wo Andreas Wecker an seinem Paradegerät trainiert, dem Reck. Der Kovacs-Salto sitzt noch nicht richtig, aber das muß er, wenn Deutschlands bester Kunstturner sein Ziel erreichen will: Siegen bei der Weltmeisterschaft in Birmingham. Forciertes Training soll die Sicherheit beim Salto bringen. 30 Stunden pro Woche schindet sich Wecker unter Anleitung seines Trainers Lutz Landgraf, oft unter Schmerzen. Beim ersten Training in Birmingham mißlingt der Kovacs-Salto; Wecker stürzt mit dem Rücken auf die Reckstange, schürft sich den Ellenbogen auf und den Trizeps. Eine Stunde später ist er wieder am Gerät und schafft den Salto ohne Probleme. „Turnen“, sagt Andreas Wecker, „ist ein harter Sport.“

Der Ertrag der Fron ist bescheiden, finanziell zumindest. Kunstturnen ist eine Randsportart im vereinten Deutschland, längst erfaßt von der allgemeinen Rezession. Andreas Wecker sucht einen Sponsor, sein Verein, der SC Berlin, sucht einen Sponsor, dem Verband haben sie die Bundesmittel gekürzt. Leben kann Wecker von dem, was er sich an Prämien und Antrittsgeldern erturnt, Reichtümer anhäufen lassen sich damit nicht: „Ich heiße Wecker, nicht Becker.“

Dabei hat Wecker, 23, Respektables vorzuweisen. Sechsmal deutscher Meister war er, Europameister am Reck, Vizeweltmeister. Bei den Olympischen Spielen wurde er Vierter im Mehrkampf, Dritter am Seitpferd und an den Ringen, Zweiter am Reck. Bronze, Bronze, Silber – das reicht, um „Deutschlands Vorturner“ zu sein. Aber zu mehr auch nicht. Die Stars in Barcelona waren andere. Trent Dimas aus den USA zum Beispiel, der als letzter Starter ans Reck trat und dem Berliner die Goldmedaille noch entriß. Und natürlich Witali Scherbo, der mit seinen sechs Siegen alle Konkurrenten zu Statisten werden ließ.

Respekt hat Wecker vor dem großen Mann aus Minsk, der ihn gerade wieder geschlagen hat, beim Turnier in Cottbus. Respekt, aber keine übertriebene Furcht. Schließlich hätten die Kampfrichter in Barcelona Scherbo eindeutig bevorteilt. „Das muß nicht auch in Birmingham so sein.“ Leicht wird es nicht werden, den Weißrussen zu bezwingen, zumal der unbelastet von privaten Nöten antreten kann. Seinen Umzug nach Pennsylvania hat er bewältigt, Frau Irina brachte im März eine Tochter zur Welt. Die Dinge sind also geordnet.

Anders bei Wecker. Der sitzt mit seiner Freundin noch immer auf zwanzig Quadratmetern im trüben Stadtteil Marzahn und möchte so gern „woanders wohnen, weil wir uns in dieser Enge schon mal ziemlich auf die Seile gehen.“ Dann ist da die Suche nach der geeigneten beruflichen Ausbildung. Da ist Wecker noch immer nicht richtig orientiert, „aber das ist auch schwierig, wenn man nebenbei noch dreißig Stunden trainieren muß in der Woche.“

Eine Lehre als Mechaniker hat er abgebrochen, auch eine als Vermögensberater. Gerade hat er ein paar Wochen versucht, das Handwerk des Bankkaufmanns zu lernen, dann war wieder Schluß. Das Training habe gelitten, und da Abstriche zu machen hat Wecker keine Lust. „Turnen ist im Moment noch das Wichtigste.“ Im Sommer wird er jetzt erst mal zur Bundeswehr gehen und sich da „hoffentlich klarwerden“ über das, was nach dem Sport kommen soll.

Vorher gilt es aber noch, die Sache mit dem Manager zu regeln. Den hatte Wecker vor nicht allzu langer Zeit eingestellt, war aber mit seinen Diensten nicht zufrieden. Inzwischen sprechen die Anwälte, es geht um Geld und Wecker ist froh, wenn die Sache endlich über die Bühne ist. „Ich werde“, sagt er, „ohnehin genug Probleme zu lösen haben in der nächsten Zeit.“ Die bei der WM in Birmingham sind da vergleichsweise einfach.

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