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Lerne klagen, ohne zu leiden

■ „Die Krise“ von Coline Serreau stellt die Beziehungsfrage

Wer hätte das nicht schon erlebt? Morgens den tropfenden Teebeutel nicht in das dafür vorgesehene Auffangschälchen, sondern in das O-Saft-Glas der Freundin gehängt. Damit einen Streit heraufbeschworen, der endlich mal alles herausläßt, was seit Wochen und Monaten und Jahren so schwelte.

Anfangs sind's die seifenverklebten Haare im Abfluß, die man(n) mit durch Abschminkwatte verstopfte Sanitäreinrichtungen kontern kann; am Ende wird schließlich die Beziehungsfrage gestellt. Mittags dann meint der Chef endlich mal die jüngst erworbenen Kenntnisse aus dem Managerseminar anwenden zu müssen und übt ausgerechnet mit dir die Lektion über den autoritären Führungsstil. Abends bist du geschafft.

Wenn irgend etwas verhindern kann, daß dieser Tag vollends ein Flop wird, dann nur ein Kinobesuch, da du ja sonst niemanden mehr hast. Denkste. Kaum wird es im Kinosaal dunkel, wälzt sich auf der Leinwand ein Typ auf dem Bett, dessen morgendliche Ruderbewegungen beim Weckerklingeln dir sehr bekannt vorkommen. Bei ihm ist alles nur viel schlimmer. Victor darf gar nicht mehr diskutieren. Er hat Frau und Job verloren. Ihm hört keiner mehr zu. Statt seine Klage über das ihm zugefügte Leid loszuwerden, erfährt er von seinen sogenannten besten Freunden noch viel Entsetzlicheres. Jeder stöhnt für sich allein. Coline Serreau hat wieder einmal den emotionalen Kladderadatsch einer saturierten Mittelklasse erahnt, bevor er voll zum Ausbruch gekommen ist. Nachdem sie mit „Drei Männer und ein Baby“ den jetzt noch nachgeburtenden Babyboom vorwegnahm, geht es nun um die Besinnung auf caritative Tugenden, die nach dem Zenit des Yuppietums erst wieder mühsam erlernt werden müssen.

Coline Serreaus Filme und Theaterstücke sind immer auf der Suche nach den Sensationen des Gewöhnlichen. Darin liegt ihre Stärke. Was unlängst in der Inszenierung ihres Stückes „Hase Hase“ am Berliner Schillertheater gelang und im französischen Original des Films mit dem erschlagenden Tempo der Dialoge funktioniert, verliert in der deutschen Synchronisation leider etwas Schmackes zugunsten eines zu schrillen Klamauks.

In Victors Freundeskreis, der damit beschäftigt ist, die unzähligen Kinder aus längst geschiedenen Ehen zum gemeinsamen Skiurlaub zusammenzuführen, oder das Ende der Welt herannahen sieht, weil kurz vor einem Konzert mitsamt der gerissenen Saite die ganze Geige um die Ohren fliegt, gibt es keinen Platz für Victor mit seinem Doppel-Rausschmiß. Sogar seine Mutter will ihn nicht mehr bedauern, weil sie gerade daran denkt, zum ersten Mal in ihrem Leben an sich zu denken. Sie macht sich mit einem viel jüngeren Liebhaber aus dem Staube.

Coline Serreaus Gesellschaftsporträt bliebe ein modischer Film über die Mode der Krise, wäre da nicht noch Patrick Timsit. Er spielt den Underdog Michou, der sich nach einer durchzechten Nacht an Victor hängt und nicht mehr von seiner Seite weicht. Michou ist der Harlekin, der Joker, der Coline Serreaus Komödie am Laufen hält. Michou ist ein Hofnarr, der zwar willig Mätzchen macht, aber mehr über das Leben weiß als die Herrschaften, die er unterhält. Ganz nebenbei entlarvt er den grenzenlosen Rassismus der toleranten Intelligenz, indem er sich während eines Partytalks zum Thema „Multikulturelle Gesellschaft“ als Rassist bekennt. Empört und amüsiert geben sich die feinen Gastgeber über einen derartig unflexiblen Menschen, der nicht mit Marokkanern zusammenleben will. Aber vorher haben sie ihn vor dem Tor draußen warten lassen und ihn nur deshalb hereingebeten, weil der Abend nach Victors Ankündigung eines „urigen“ Franzosen unterhaltsamer zu werden verspricht.

In diesen kleinen Beobachtungen ist Coline Serreau noch entlarvender als mit ihrer weitausholenden Gardinenpredigt, die aus Victor schließlich einen Menschen macht, der das Zuhören wieder erlernt und sich damit Gehör verschafft. Das Schöne an dieser Psycho-Couchkiste aus französischer Produktion ist, daß man sich genug ertappt fühlt, um sich etwas unbehaglich zu fühlen, aber auch ebenso viele Gründe hat, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Denn sobald man aus dem Kino tritt, will man ja auch morgen noch genug banale Krisenherde haben, um sich ausweinen zu können. Wo bliebe sonst der Spaß am Leben? Und die Vorstellung, demnächst jeden Zoff wieder in Kleingruppen ausdiskutieren zu müssen, treibt einem doch die Gänsehaut in den Nacken. Oder? Christof Boy

Coline Serreau: „Die Krise“. Mit Vincent Lindon, Patrick Timsit, Zabou u.a.; Frankreich 1992, 92 Min.

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