■ Bogdan Bogdanović, Mitglied des „Belgrader Kreises“, über seine Utopie, den serbischen Nationalismus und das Embargo: Kollektive Hypnose und Mythomanie
Der frühere Belgrader Bürgermeister (1982–1986) Bogdan Bogdanović, bis 1988 Mitglied des ZK des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens, ist heute einer der radikalsten Kritiker des serbischen Präsidenten Slobodan Milošević. Er gehört zu den Exponenten des „Belgrader Kreises“ unabhänger Intellektueller. Der ehemalige Architekturprofessor ist Architekt zahlreicher Monumente in ganz Jugoslawien zu Ehren der Opfer des Faschismus und Autor einer Reihe von Veröffentlichungen über Stadtarchitektur. Im Februar dieses Jahres ist im Klagenfurter Wieser-Verlag sein Buch „Die Stadt und der Tod“ erschienen, ein Essay über Vukovar und Sarajevo.
taz: Genau vor einem Jahr brachen in Sarajevo die Kämpfe aus. Was soll der Westen tun, damit der Krieg in Bosnien-Herzegowina möglichst schnell zu Ende geht?
Bogdan Bogdanović: Ich habe eine Utopie: Sarajevo wird befreit und provisorisch zu einem kleinen bosnischen Stadtstaat, und dort siedeln sich alle oppositionellen Jugoslawen an, die nach Deutschland oder weiß ich wohin ausgewandert sind. In diesem Stadtstaat wird eine gute Fernsehstation eingerichtet, deren Sendungen in ganz Ex-Jugoslawien empfangen werden können. Und nun beginnen die Einwohner dieser Stadt unter den Augen ganz Ex-Jugoslawiens einen Kampf für die Enttribalisierung. Sarajevo war ja eine kosmopolitische Stadt, und dafür ist es auch bestraft worden. Es ist die Rache einer antiurbanen, nationalistischen Geisteshaltung des Blut und Bodens. Man muß nun also zeigen, daß ein gemeinsames Leben immer noch möglich ist – das Experiment muß unter dem Schutz der UNO stattfinden. Der bosnische Serbenführer Karadžić will das Gegenteil. Seine Vision ist ein ethnisch aufgeteiltes Sarajevo, das es nie gegeben hat. Das ist die krankhafte Idee eines Psychiaters.
Nun hat aber just das Parlament dieses Karadžićs den Vance- Owen-Plan gerade wieder abgelehnt. Soll nun der Westen die Sanktionen verschärfen oder gar militärisch intervenieren?
Ich habe Ihnen gerade eine Utopie skizziert, ich glaube es ist nun Zeit, daß die Utopien Wirklichkeit werden. Die UNO muß kleine bosnische Territorien befreien.
Angefangen bei Sarajevo?
Ja.
Militärisch?
Es geht nur militärisch. Wir müßten dann wirklich die Oppositionellen aus dem Ausland zurückholen. Das können Sie jetzt als wilde Phantasien abtun. Aber diese Zeiten bringen uns alle durcheinander.
Bisher ist der Westen ja nicht willens, militärisch zu intervenieren. Der UN-Sicherheitsrat diskutiert eher eine Verschärfung des Embargos. Was halten Sie davon?
Die Konsequenzen des Embargos sind sehr hart, wir leben nun wirklich am Rand der Misere. In gewisser Weise sind wir die Geiseln Karadžićs.
Aber Ihre Regierung ist ja nicht unschuldig. Sie könnte ja Druck auf Karadžić ausüben.
Das will sie nicht.
Serbische Oppositionelle sagen oft, daß Sanktionen das Regime nur stabilisieren und ohnehin vor allem die ärmsten Schichten treffen. Im Kosovo, dem ärmsten Teil Serbiens, wünschen sich die meisten Albaner eine Verschärfung der Sanktionen.
Es fällt mir schwer, einer Verschärfung der Sanktionen das Wort zu reden, weil ich selber davon betroffen bin. Im übrigen hat das Embargo schon Wirkungen gezeigt. Die Leute beginnen sich nun zu fragen, wer uns das alles eingebrockt hat ...
... und wählen dann nicht mehr Milošević, sondern die rechtsextremistische Radikale Partei Šešeljs, wie im Dezember geschehen.
Ja, da spielt das Fernsehen eine große Rolle. Es gibt so was wie eine kollektive Hypnose.
Gegen die scheint auch der „Belgrader Kreis“ unabhängiger Intellektueller, in dem Sie engagiert sind, nicht anzukommen.
Der „Belgrader Kreis“ hat keinen entscheidenden Einfluß auf die praktische Politik, aber da zirkulieren Ideen, die dann anderswo Fuß fassen. Er ist gewissermaßen ein Ferment. Auf der andern Seite verstehen es populistische Regierungen in der Regel gut, gerade bei den unteren Schichten an antiintellektuelle Instinkte zu appellieren. Das geht einher mit dem betrügerischen Rückgriff auf falsche Mythen. Im Rahmen einer Mythomanie wird die Geschichte neu erfunden und zurechtgebogen. Die Nationalisten in den postkommunistischen Gesellschaften schaffen so eine Parageschichte, wie sie Paramilitärs unterhalten, eine Parakultur produzieren und eine Parareligion pflegen. Alles ist para.
Sehen Sie die Gefahr eines Bürgerkrieges in Serbien?
Letztes Jahr dachten viele, es könnte zu einem Bürgerkrieg kommen. Nun scheint es vielleicht doch nicht so weit zu kommen.
Was hat sich geändert?
Die Leute sind kriegsmüde. Aber ich bin nicht sicher, ob ein erträglicher Frieden kommen wird, vorausgesetzt, der Krieg geht nicht noch über Jahre hinaus weiter und wird quasi endemisch, was – wie die Geschichte des Balkans zur Genüge zeigt – auch möglich ist. Aber wenn denn wirklich ein Frieden kommt, kann es auch ein Frieden sein zwischen xenophoben, rassistischen, halbfaschistischen, autistischen vielleicht auch theokratischen Kleinstaaten. Ich denke da an Kroatien mit seinen morbiden Phantasmen und an die barbarischen und mythischen Phantasmen in Serbien.
Ein Frieden, der Milošević, immerhin den politisch Hauptverantwortlichen dieses Krieges, in seinem Amt beläßt. Oder sehen Sie einen Weg, wie man ihn los wird?
Das ist sehr schwierig. Milošević will zwar ein Großserbien, er will eine für die serbische Seite günstige Aufteilung Bosnien-Herzegowinas, doch wichtiger als all das ist ihm, an der Macht zu bleiben. Aber gelänge es, ihn von dort zu vertreiben, käme eine politische Opposition – nicht unsere kleine antinationalistische Gruppe, sondern die „Partei der Nationalen Erneuerung“ Vuk Draškovićs und das DEPOS-Bündnis – an die Macht, die letztlich genauso nationalistisch ist. Denken Sie nur an Kosovo! Da denken Regierung und Opposition gleich.
Und wie denken Sie?
Ich weiß, was der Kosovo in der serbischen Geschichte und für die serbische Kultur bedeutet. Aber ich sage als Serbe: Gebt die Ansprüche auf Kosovo auf! Wenn man den Mut gehabt hätte, das vor zwanzig Jahren zu sagen, hätte man das Problem so lösen können, wie de Gaulle das Problem Algerien gelöst hat.
Weshalb lädt der „Belgrader Zirkel“ nicht zu einer offenen Diskussion über den Kosovo ein – am besten mit Ibrahim Rugova, dem von den Albanern gewählten Präsidenten, als Gastredner?
Ich muß zugeben. Ich weiß nicht, ob das der „Belgrader Zirkel“ bringen würde. Da gibt es ein nationales Tabu.
Sie haben mit einer Utopie begonnen, wollen Sie zum Schluß uns ausmalen, wie Ex-Jugoslawien in zehn Jahren aussehen wird?
Nach so viel Blut, so vielen Verbrechen, nach der Zerstörung so vieler Familien und so vieler Städte ist es für mich schwierig, mir die Zukunft vorzustellen. Aber es wird irgendwann wieder mal zu einer supranationalen Union kommen. Die Länder sind zu klein, um isoliert ökonomisch zu überleben. Und dann kommt es vielleicht zu einer Balkanunion, die Bulgarien, Rumänien, Albanien, vielleicht auch Griechenland einschließt. Interview: Thomas Schmid
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