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Krieg unter dem Mythos

■ Swetlana Alexijewitsch liest aus ihren russischen Porträts in Hamburg

liest aus ihren russischen Porträts in Hamburg

Mit ihrem Buch Der Krieg hat kein weibliches Gesicht beging Swetlana Alexijewitsch vor vier Jahren eine Einmischung in „Männerangelegenheiten“ und stieß dabei auf massive Ablehnung bei all denen, die an einer entmythologisierenden Darstellung des Krieges kein Interesse hatten. Denn die Autorin ließ Frauen, die im Zweiten Weltkrieg als Rotarmistinnen in der Armee gegen die Deutschen kämpften, von ihren Kriegserlebnissen erzählen - Frauen, die von der nationalsozialistischen Propaganda pauschal als „Flintenweiber“ und „fanatisierte Bolschewisten“ verteufelt wurden. Deren Schilderungen kommen ohne das Pathos aus, das Schlachten im Nachhinein überhöht, zu etwas Faszinierendem stilisiert.

Der Widerspruch gegen diese Berichte vom Krieg taucht schon in den Interviews Alexijewitschs auf - und zwar in Gestalt der Ehemänner der interviewten Frauen. Nach der Einleitung „Dann kam der Ehemann ins Zimmer“ folgt immer der Versuch des Mannes, das von der Ehe-

frau Erzählte zurechtzurücken, um-

1zubiegen oder zu entwerten.

Mit ihrem nachfolgenden Buch „Zinkjungen“, das im vergangenen Jahr in deutscher Übersetzung erschien, rührte sie wieder an einem Tabu der nachsowjetischen Gesellschaft. Ihr Thema sind hier die Afganistan-Kämpfer, die oft als Tote - in Zinksärgen - in ihre Heimat zurückgebracht wurden. Wegen des Buches bereitet man derzeit in Weißrussland einen politischen Prozeß gegen die Journalistin vor. Kläger sind „ein halbblinder Invalide des Afganistan-Krieges und die Mutter eines gefallenen Offiziers“, die sie beschuldigen, „die Soldatenehre beschimpft“ zu haben. Inzwischen traten namhafte weißrussische Schriftsteller und der PEN- Club des Landes für sie ein.

Derzeit schreibt sie an einem neuen Buch, in dem sie sich wieder mit dem Tod auseinandersetzt. Es ist ein Buch über Selbstmörder in den GUS-Staaten. Sie zitiert eine der Portraitierten, eine 53jährige Ärztin, die nach einem Selbstmord- Versuch sagt: „Mir war es leid um meinen Glauben und um unseren großen Staat, in dem wir nicht mehr leben. Mein Leben hat seinen Sinn verloren... ein fremdes Land“. „Die Zeugen der Zeit des großen Betrugs“, sagt Swetlana Alexijewitsch, „sprechen für sich selbst, und ich halte ihnen nur den Spiegel vor“. Hedwig Gafga

Buchladen Papiertiger, Eppendorfer Weg 107, 20 Uhr

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