: Unerhörte Werke
Seit einem Jahr blüht FAM – das Frauenarchiv Musik – verborgen in einer Privatwohnung ■ Von Anna-Bianca Krause
Wer wissen will, was sich in Berlin rund um den Bereich „Frau und Musik“ tut, muß mit viel Energie und noch mehr Neugierde ans Werk gehen – die Suche ist mehr als beschwerlich, eine Vernetzung der Projekte und Initiativen findet bislang nirgendwo statt. Daß der Zufall bei der Entdeckungsreise ins musikalische Neuland daher eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt, ist zwangsläufig. Noch sind Werbe- und Marktstrategien, Öffentlichkeitsarbeit und lautstarkes „auf die Pauke hauen“ Mechanismen, die ebenso wichtig sind, wie das von Medien und Management versäumte Aufstöbern weiblicher Talente und Werke, ihrer Schaffenswut und Virtuosität, eine vernachlässigte Größe in der Arbeit engagierter Wissenschaftlerinnen, Veranstalterinnen und Journalistinnen.
Beate Philipp, eine der vier Initiatorinnen des FAM – Frauenarchiv Musik –, Musikwissenschaftlerinnen mit geschärftem Blick und weit geöffneten Ohren für die Werke von Komponistinnen, bezieht den Impuls für ihre Arbeit aus einer alltäglichen Erfahrung: „An der Hochschule bin ich im dunkeln getappt. Als ich dann durch meine Recherchen und Begegnungen mit der Fülle des Materials von Frauen musikalisch, musiktheoretisch und frauenspezifisch konfrontiert wurde, da kam eine enorme Wut hoch, daß Frauen an der Musikhochschule gar nicht vorkommen. Das mußte ich erst mal bewältigen.“ Das Frauenarchiv Musik ist eine ihrer Reaktionen. Zusammen mit einer weiteren Musikwissenschaftlerin, einer Musikbibliothekarin und einer Musiklehrerin sammelt, archiviert und katalogisiert sie nun Notendrucke, Monographien, Skizzen, Manuskripte, Lexika, Bibliographien, Dokumentationen, Examensarbeiten, Sekundärliteratur, Briefe, Broschüren, Konzertkritiken, Tonträger und sonstige Materialien aus Nachlässen, Schenkungen und Antiquariaten. Regelmäßige Publikationen und Kataloge sind für die Zukunft ebenso geplant wie die Veranstaltung von Konzerten und musikwissenschaftlichen Vorträgen. Der Schwerpunkt E-Musik und Komposition ergab sich durch die Arbeitsgebiete der Gründerinnen, für eine Ausweitung in die Bereiche Jazz, Rock und Interpretation ist die Initiative aber offen. Ob die Vorhaben allerdings auch verwirklicht, die anvisierten Räume im Gewerbehof der Weiberwirtschaft im Bezirk Mitte 1994 tatsächlich bezogen werden können, hängt nicht zuletzt von einer beantragten Senatsförderung ab. Zudem wird am 23. April ein Trägerverein für das Archiv gegründet, Spenden und Mitgliedsbeiträge könnten dem notwendigen Arbeitsaufwand eine zusätzliche Basis schaffen.
Eine konstruktive Zusammenarbeit mit den beiden bereits bestehenden, auf E-Musik konzentrierten Frauenmusikarchiven in Kassel und Unna ist abgesprochen, die Konzentration auf Berlin-Brandenburg naheliegend. Welches Ziel verfolgen die vier Frauen mit ihrer aufwendigen und sicher oft äußerst trockenen Arbeit? Beate Philipp hat zwei Dinge vor Augen: „Ich befinde mich auf der Suche nach der kulturellen Identität von Frauen und versuche herauszufinden, ob es frauenspezifische Aspekte in der Musik gibt, möglicherweise unbewußte. Das ist mein übergeordnetes Ziel. Das Archiv hat das Ziel, Frauen aus den eher privaten, kleinen Aufführungsmöglichkeiten mit ihrer Arbeit in größere Konzertsäle wie die Philharmonie zu bringen. Das ist ein Stück Politik, das wir betreiben.“
Die Idee, das Archiv zu gründen, entstand hauptsächlich durch ein senatsfinanziertes Forschungsprojekt der Musikwissenschaftlerin. Die im Zuge dieser Arbeit notwendigen Besuche bei Komponistinnen zogen Unmengen von unverlegten Noten, Büchern, Kritiken, Musikkassetten nach sich, die Beate Philipp als Geschenke nach Hause trug. „Komponistinnen der Neuen Musik“ heißt die nun im Kasseler Furore-Verlag veröffentlichte Dokumentation ihrer Recherchen, ein Band, der einen informativ-lebendigen Eindruck von sieben zwischen 1907 und 1929 geborenen, im deutschsprachigen Raum lebenden Künstlerinnen vermittelt. „Für mich war es wichtig zu sehen, welchen Einfluß der Zweite Weltkrieg und die NS-Zeit auf die Musik dieser Komponistinnen hatte“, begründet die Herausgeberin den ausgewählten Zeitraum. Und tatsächlich bezeugen die abgedruckten Interviews und die von den Komponistinnen ausgewählten Vertonungen, welch nachhaltige Wirkung dieses Kapitel in der Arbeit der sieben hinterlassen hat. Der Begriff der Neuen Musik bezieht sich in diesem Fall auf Musik aus der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts; alle Komponistinnen bedienten und bedienen sich der Freitonalität, manche der Zwölftonmusik oder expressiver Kompositionstechniken; Serielles, Minimalistisches und Abstraktes bleibt außen vor. Einige der vorgestellten Künstlerinnen, wie die 1908 in Berlin geborene Alice Samter oder die 1924 in Leipzig geborene Ruth Bodenstein-Hoyme, konnten sich erst nach der Berentung ganz ihrer Kompositionsarbeit widmen, davor waren sie jahrzehntelang musikpädagogisch tätig. Eine Existenz als Komponistin schien undenkbar und ist auch heute noch eher die Ausnahme – in beinahe allen Gesprächen bestätigt sich, daß es während der Ausbildung so gut wie keinen Kontakt mit der Arbeit von Komponistinnen gab. Die württembergische Komponistin und Malerin Eva Schorr, die bereits mit acht Jahren eigene Werke aufführte, erzählt von ihren vergeblichen Versuchen: „Am Anfang meiner Kompositionstätigkeit schickte ich meine Manuskripte an zahlreiche Verlage und bekam sie ausnahmslos zurück. Später hatte ich keine Lust mehr an diesen frustrierenden Erfahrungen und kopierte meine Manuskripte mit großem finanziellen Einsatz. Das mache ich leider heute noch so, da ich nun jenseits des Alters zu sein scheine, wo sich ein Verlag noch tatkräftig um die Verbreitung meiner Stücke bemühen würde.“ Doch ohne verlegte gedruckte Noten gibt es eben auch weniger aufgeführte Musik.
Bemerkenswert an der Dokumentation von Beate Philipp ist der große Raum, der den mit den Frauen geführten Interviews zugestanden wurde. Neben diesen äußerst aufschlußreichen Gesprächen über Einflüsse, Techniken und die unterschiedlichen Lebenswege, den Werkverzeichnissen, den Notenbeispielen und Diskographien enthält der Band zudem Zeichnungen, Werkeinführungen, graphische Konzeptionen (bei Ruth Zechlin), Tagebuchaufzeichnungen und Bilder, die den Gesamteindruck abrunden.
Frauenarchiv Musik, c/o Beate Philipp, Otto-Suhr-Allee 19, 1000 Berlin 10, 342 62 46. „Komponistinnen der Neuen Musik“, eine Dokumentation, erschienen im Furore-Verlag, Kassel, 220 Seiten, 25 Abb., 28 DM.
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