Weg vom Theorie-Urschleim

Die als Modell gedachte Fachhochschule für Technik und Wirtschaft droht am „wahnsinnig komplizierten Berufungsgeschäft“ und ihrem zerklüfteten Campus zu scheitern  ■ Von Christian Füller

Berlin. Der Innenhof der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft (FHTW) wird von Lehrgebäuden und der Mensa umschlossen. Die begrünte Freifläche verleitet zu einem Studier-Päuschen und der Annahme, hier gebe es kurze Wege. Das täuscht. Die FHTW ist keine Campus-Hochschule. In Wahrheit ist die neue Berliner Fachhochschule, an der einmal 8.000 junge Leute studieren sollen, in fünf Standorte zerrissen. Von Blankenburg etwa, wo die Maschinenbauer sitzen, fährt man gut eineinhalb Stunden in das Spracheninstitut in der Allee der Kosmonauten. Und von da bis zum Hauptgebäude in der Treskowallee liegen ein Dutzend Straßenbahnhaltestellen.

Die FHTW tut sich schwer, jenem modernen Konzept gerecht zu werden, das ihr zugedacht ist. „Wir bilden hier keine Studierenden aus, die später bloß funktionieren“, sagt Rainer Knigge, einer der Gründungsrektoren. Man wolle sich zwar vom „Theorie-Urschleim“ fernhalten, meint er. Aber die FHTW sei auch nicht verschult, sondern in ihrer Lehre „stark projektorientiert“.

Zum Beispiel gehören zwei Sprachen obligatorisch zum FHTW-Lehrkanon. „Das zeichnet diese Hochschule aus“, sagt Pressesprecherin Christel Dallmann. Die Studierenden können wählen zwischen Englisch, Französisch, Spanisch und einer Reihe osteuropäischer Sprachen. Russisch, Polnisch, Ukrainisch sind dabei die Reste des von der Hochschule für Ökonomie (HfÖ) übernommenen Instituts für Fremdsprachen. Aber entgegen der Hoffnungen von Studienberatern ignorieren die Studierenden die Ostsprachen.

Keine Lust auf Russisch

„Nach dem Fall der Mauer ist das Interesse am Russischen stark zurückgegangen“, erläutert Volkhart Richter, der Leiter der Sprachenabteilung der FHTW. In der DDR hätten die romanischen Sprachen ein Aschenputteldasein eingenommen. Jetzt ist es umgekehrt. Die Studis lernen Englisch und Französisch. Auf Russisch, das früher verordnet war, haben sie keine Lust mehr. „Aber die anderen FHs wollen Russisch!“ freut sich Richter, der – gewissermaßen per Amtshilfe – auch an anderen Berliner Hochschulen den Sprachunterricht organisiert. Er braucht Beschäftigung für seine Russischlehrer. Wenn die Nachfrage an der FHTW nicht stärker wird, muß entlassen werden. 14 Stellen sollten jüngst schon gestrichen werden. Doch wird zunächst eine „zukunftsorientierte Analyse“ gemacht. Vermutlich stellt das nur eine Schonfrist für einen Teil der 75 festangestellten SprachlehrerInnen dar.

Im Haushalt der FHTW stehen sie als „Lehrkräfte für besondere Aufgaben“ zu Buche. Eine Kategorie, die an der Hochschule in vielen Fällen für Verbitterung sorgte. Diese Stellen weisen einen Teil der Dozenten nämlich in den Mittelbau – den es an Fachhochschulen eigentlich gar nicht gibt. Über diese Rückstufung haben sich Dozenten empört. Sie sähen sich als Mitbegründer der FHTW und könnten erwarten, daß sie einen unbefristeten Arbeitsvertrag erhielten, schreiben sie in einem offenen Brief. Den aber haben sie erhalten, beantwortet Wolf Patermann aus der Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung die Kritik. Aber eben im Mittelbau und nicht als Hochschullehrer. Die Einrichtung von 70 Mittelbaustellen sei die „strukturell sauberste Lösung“ und eine soziale Maßnahme, meint Patermann. Andernfalls hätte man den „Lehrern im Hochschuldienst“ – so die Bezeichnung der betroffenen Dozenten zu DDR-Zeiten – kündigen müssen. Nun haben sie die Sicherheit eines Arbeitsplatzes; und sie können sich weiter auf Professorenstellen bewerben.

„Es knackt bei Berufungen“

Die Besetzung der Professorenstellen geht an der FHTW gemach voran. 320 Professoren soll die Hochschule einmal haben. Bis jetzt hat sie 39 berufen. Ursache dafür ist, daß es nur zwei Berufungskommissionen gibt. Außerdem hängt die FHTW gewissermaßen noch an der Technischen Fachhochschule im Wedding. Die ist die Amme, weil die Selbstverwaltungsorgane der FHTW mangels eigener Hochschullehrer noch nicht arbeiten. Und so beißt sich die Katze in den Schwanz: ohne Berufungen keine Professoren, die wiederum andere Professoren berufen könnten. „Es knirscht und knackt an allen Ecken und Enden“, stöhnt Rainer Knigge über das „wahnsinnig komplizierte Berufungsgeschäft“ an der FHTW, die doch eine Art Muster-FH werden soll.

Die Vorreiterrolle der FHTW sollen neue Studiengänge festschreiben. Museumskunde soll ab dem kommenden Wintersemester gelehrt werden, außerdem Restaurierung und Kommunikationsdesign. Die neue Berliner FH will damit Forderungen erfüllen, die der Wissenschaftsrat an die Fachhochschulen richtete. Die sollen ihr Fächerspektrum ausweiten und in Zukunft auch ihren Anteil an den Studierendenzahlen insgesamt. Doch das Beispiel FHTW zeigt, daß das eine nicht automatisch aus dem andern folgt. Die Bewerber etwa eines so attraktiven Studienganges wie Restaurierung haben zwei Jahre berufliche Praxis vorzuweisen. „Das ist ein relativ hart naturwisenschaftlich-technischer Studiengang“, meint Gründungsrektor Jürgen Tippe. Trotzdem würden davon „sehr viele junge Leute angezogen“.

Daher sei Zugangsbedingung auf die nur 20 Studienplätze eine zweijährige Berufspraxis. Dies wirkt sich wie ein struktureller Numerus clausus aus. Ohne vorherigen Arbeitsplatz rückt nämlich auch der Studienplatz in weite Ferne. „Wie soll ich denn da je reinkommen?“ fragt Wiebke Reich, die sich für Restaurierung interessiert, „wenn es nur drei Ausbildungsplätze für Restauratoren in ganz Berlin gibt.“