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"Qualität eines Grabsteins"

■ Bebauung der Kehrwiederspitze: Viel Lob vom Oberbaumdirektor, heftige Kritik von Architekten: Tote Bürostadt, banale Bauweise mit dem diskreten Charme der Monotonie

: Viel Lob

vom Oberbaudirektor, heftige Kritik von

Architekten: Tote Bürostadt, banale Bauweise

mit dem diskreten Charme der Monotonie

Kritik, Kritik und nochmal Kritik: „Qualität eines Grabsteins“, „klassizistische Strenge einer Justizvollzugsanstalt“, „banal“, „diskreter Charme der Monotonie“. Diese vernichtenden Urteile gehen auf das Konto des Bauvorhabens Kehrwiederspitze. Von Hamburgs Oberbaudirektor Egbert Kossack am Donnerstag morgen vor der Presse bejubelt, von rund 500 Fachleuten am Abend bei einer Diskussionsveranstaltung der Hamburger Architektenkammer vernichtend abgeurteilt - an der im Bau befindlichen Bürocity Hanseatic Trade Center (HTC) teilen sich die Geister der Hansestadt. Das 800 Millionen Mark teure, 100 000 Quadratmeter große Büro-Monument soll nach dem Willen der Investorengruppe im Hafen ein „Symbol des 20. Jahrhunderts“ werden. Egbert Kossaks Beschreibung klingt bodenständiger: „Bisher hat die Stadt der Elbe nur ihren Hintern gezeigt, bald zeigt sie dort ihr Gesicht.“ Ein Backsteingesicht, das in vier Phasen von sechs internationalen Architektenbüros bis zum Jahr 1996 zusammengefügt werden soll. Quadratische Klötze mit viel Glas, ein zigarrenförmiges Bauwerk, das sich in die Elbe reckt und mittendrin ein 18stöckiger, halbrunder Turm. Ein paar alte Bäume drumherum, einige neue Brücken dazwischen, aber weder Geschäfte, Lokale noch Wohnungen.

Ein Dollpunkt, an dem sich der Hamburger Architekturkritiker Gert Kähler am Donnerstagabend in den Deichtorhallen abarbeitete. Das tote Ensemble mit der Monostruktur einer City-Nord und -Süd erschlage an der Kehrwiederspitze „die Seele Hamburgs“, die Speicherstadt. „Gibt es ein Leben nach der Rendite?“, fragte er höhnisch und antwortete sich selbst mit ei-

1nem klaren „Nein“.

Im Mittelpunkt seiner Kritik steht die Frage nach der Zukunft der Speicherstadt. Über den Verkauf der Speicher werde zwar öffentlich nicht mehr geredet, doch der Bau der Bürostadt könne zu erheblichem Druck auf die Mieten der Kontorhäuser führen, so Kählers Prognose. So könnten sich die alten Pläne im Senat, aus der Speicherstadt ein gemischtes Gewerbegebiet mit Wohnraum für Yuppies

1zu machen, doch durch die Hintertür in den Freihafen einschleichen.

Eine Sorge, die den Verein Speicherstadt momentan nicht mehr umtreibt. Die Kaufleute hatten in den vergangenen Jahren lautstark gegen den „Ausverkauf der Speicherstadt“ protestiert. Zwar kassierten sie jetzt teilweise drastische Mieterhöhungen (bis zu 30 Prozent für manche der unteren Lagerböden), doch der Vereinsvorsitzende Horst Krüger sieht der Fertigstel-

1lung des HTC mit Gelassenheit entgegen. Mit dem Gewerbe-Immobilienmarkt ginge es ja bekanntlich derzeit bergab, ob die Büros loszuschlagen seien, stehe in den Sternen. „Wasser hin, Wasser her, wenn kein Bedarf mehr da ist, nützt die schönste Optik nix“, meint Krüger. Der Ausverkauf stünde derzeit wohl nicht mehr an, aber - Krüger gewohnt kämpferisch - „einlullen lassen wir uns nicht!“. Sannah Koch

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