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Unterm Strich

Wer wie unsereins auch im größten Streß noch gezwungen ist, ziemlich ungeschickt mit zwei Fingern auf dem Computer-Keyboard herumzufuhrwerken, blickt mit Neid auf Gabriel García Márquez: „Mit einer Hand schreibe ich die Novelle, mit der anderen Hand meine Memoiren“, diktierte der 65jährige Nobelpreisträger am Donnerstag selbstbewußt einem Interviewer in Mexico City.

Sie erinnern sich unserer nachösterlichen Meldung aus dem Reich der Mitte, betreffs Ausmerzung altchinesischer Schriftzeichen durch eine eigens hierfür zuständige Kommission? Kommissionen haben wir hier auch. Vom 29. April bis zum 1. Mai werden sich in Lübeck die Mitglieder der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung mit dem scheinbar unaufhaltsamen, ubiquitären Kulturverfall, Abt. Gedankenlosigkeit, Dumpfmeierei und allgemeiner Blödianismus, mit dem schröcklichen Phänomen der „täglichen Sprachschändung durch die Medien“ befassen. Die Wahrnehmung stumpfe ab, erläuterte forsch die Sprecherin der Akademie, „weil die Mediensprache mit großer Selbstverständlichkeit daherkomme und ohne Bewußtsein und Argwohn hingenommen werde“. Das halten wir, hellwach, undumpf und sprachbewußt wie immer, denn doch für eine jener verdrehten Allmachtsphantasien, mit denen sich gerade die Medienmenschen nur allzugerne aufplustern.

Martin Walser kommt in den Genuß der ersten Heidelberger Poetik-Dozentur und somit die Studenten des dortigen Germanistischen Seminars in die Gunst seiner Vorträge – allerdings auch in den ziemlich zweifelhaften Genuß der Verfilmungen seiner Werke „Ein fliehendes Pferd“, „Das Einhorn“ und „Der Sturz“. Bleibt zu hoffen, daß das „Abschlußfest mit LIVE-MUSIK“ für die paar öden Stunden entschädigt.

Unaufhaltsam wie der allgemeine Kulturverfall grassiert neuerdings die Neigung guterhaltener, wenn auch bereits ein bißchen angejahrter Kinostars zu sportlichen Kopulationsszenen. Nach Michael Douglas und Jeremy Irons konnte nun auch Robert Redford nicht mehr widerstehen und stieg für „Indecent Proposal“ (Unanständiger Vorschlag) mit Partnerin Demi Moore in den Ring. Der Streifen des Regisseurs Adrian Lyne, der schon mit „Fatal Attraction“ zielsicher zwischen Softporno und reaktionärem Beziehungskitsch landete, hat in den USA, allen Unkenrufen der Kritik zum Trotz, bereits 18 Millionen Dollar eingespielt. Ob es wirklich die Hoffnung auf die klammheimliche kleine Erregung im Dunkeln ist, die das Publikum zu Ostern an die Kassen trieb? Es könnte ja auch sein, daß man sich solche Selbstentblößungen aus nicht ganz so unschuldigen Motiven ansieht: zu sehen, daß auch die Götter faltig werden an den unmöglichsten Stellen und keine, aber auch gar keine Peinlichkeit auslassen.

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