Sanssouci: Nachschlag
■ Lesung mit Friederike Kretzen und Urs Allemann
Auch am dritten Abend der Lesereihe mit AutorInnen aus der Schweiz konnte man feststellen, daß diese Literatur nicht nur von Steinen handelt. Eingeladen in die Literaturwerkstatt waren Friederike Kretzen und Urs Allemann, die der Moderator Hans Schafroth, Literaturkritiker bei Frankfurter Rundschau und Baseler Zeitung, wegen ihrer Neigung zum Grotesken und Makabren als „die anderen Wilden“ bezeichnet.
Besonders wild klingt der Titel „Der alte Mann und die Bank“ von Urs Allemanns neustem Buch allerdings nicht. Ist aber vielleicht besser so, damit sich sein durch seinen letzten Titel „Babyficker“ arg ramponiertes Image nicht noch weiter verschlechtert. Für Schafroth sind die Extreme dieser Kritik die zwei Seiten einer Medaille: Der Satz „Ich ficke Babys“ empörte linke radikale Feministinnen ebenso wie den rechtsnationalen FPÖ-Vorsitzenden Jörg Haider. Auch hinsichtlich Kretzen baut der Literaturredakteur vor: Mit Feminismus haben ihre Bücher nichts zu tun.
Damit ist man, nach Schafroths Auffassung, für die Lesung bestens präpariert. „Der alte Mann und die Bank“: Ein alter Mann läßt seine Kindheit Revue passieren, in einem „Fünfmonatsgequassel“. Allemann liest groteske Geschichten und Märchen. Ihr Thema: Lebenssinn und Lebenskampf. Er reiht Bilder wie Perlen auf eine Kette — ineinander verwobene, sich repetierende Endlossätze. Kunstprosa. Der Schrifsteller wirkt atemlos — ein bißchen viel dramatisches Crescendo beim Vortrag — und schaut dauernd auf die Uhr.
Kretzen liest aus „Ihr blöden Weiber“, ihrem neusten Roman über drei alte Schwestern. Episoden voller Erfindungsgabe, in denen die Leben der drei in bilderreichen Monologen vorbeiziehen. Noch einmal setzt die Sprache zum „senilen Flug“ an, beginnt sie zu „geistern“. Das ist amüsant und scharfsinnig. Man hört Kretzen gerne zu: Sie liest ruhig, setzt strukturierende Pausen und läßt die Sätze klingen.
Nach der Lesung geht's ans Literaturgespräch. Die Anwesenden („Hier wimmelt es doch nur so von Autoren und Autorinnen“, bemerkt Schafroth) sind gefordert. Kleine Starthilfe. Wie kamen die beiden zu ihren Buchprojekten? Kretzen erzählt, wie sich „Ihr blöden Weiber“ in ihrer Trilogie „Frauen ohne Männer“ entwickelt hat. Nach ihrem letzten Buch „Die Probe“, in der Körper und Sprache in der psychosexuellen Entwicklung eines Mädchens langsam zusammenkommen, stellte sich für Kretzen die Frage, was eigentlich passiert, wenn der Sprache, die über „ein überdeterminiertes Modell von Identität“ verfügt, ein gebrechlicher Körper gegenübersteht.
Allemann sagt es einmal und wiederholt es dann unablässig, daß er einen fünfmonatigen Werkvertrag für ein Buch bekommen habe und daß er diese Erfahrung mit einem klar abgesteckten Zeitraum als Herausforderung empfunden habe.
Und noch mehr Literaturgespräch. „Vitalisieren der Figuren“, „Verstummen der Sprache“, „Dieses Bild ist für mich ein unheimlich komplexes Image“: Phrasen, die in Belanglosigkeit verpuffen. Petra Lüschow
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