Keine Massenevakuierung aus Srebrenica

■ Muslimische Behörden wollen, daß UNO nur Verletzte ausfliegt / Serbische Truppen stoppen UN-Konvoi mit Hilfsgütern / Morillon wird nicht abberufen

Genf (taz) – Das Schicksal der rund 28.000 Menschen in Srebrenica ist nach Einschätzung des Genfer UNO-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) „offen“. Nach Ablauf der 72-stündigen „Entmilitarisierungsfrist“, auf die sich die Anführer der bosnischen Serben und der Muslime am Sonntag unter Vermittlung der UNO verständigten, ist unklar, wer die Muslime vor weiteren Angriffen der Serben schützen soll. Denn mit dem Eintreffen der ersten kanadischen UNPROFOR- Soldaten am Sonntag nachmittag wurde zwar der mörderische Artillerie- und Panzerbeschuß der Stadt zunächst beendet und die Evakuierung einiger Verwundeter per Helikopter ermöglicht. Zugleich begann jedoch die Entwaffnung der muslimischen Verteidiger durch die Blauhelme, die serbischen Belagerer dürfen ihre Waffen laut Abkommen dagegen behalten.

Unklar ist aber auch, ob sich alle muslimischen Soldaten entwaffnen lassen. Stadtsprecher Ibrahim Becirović teilte per Funk mit, daß die Soldaten zunächst auf den Rückzug der serbischen Truppen warten würden.

Beim UNHCR wird erwartet, daß die UNPROFOR-Truppe auch nach Ablauf des Abkommens in Srebenica bleibt und so eine Vertreibung der überwiegend muslimischen Bevölkerung verhindern kann. Zudem müsse der „freie Verkehr“ von Hilfskonvois sowie Privatpersonen gewährleistet bleiben. Um letzteres durchzusetzen, verfügen die 150 Soldaten jedoch weder über das Mandat noch über ausreichende Mittel.

Nach Ansicht des UNHCR sollten nicht nur die 8.000 ursprünglichen BewohnerInnen Srebenicas, sondern auch die meisten der in den letzten Monaten hinzugekommenen rund 20.000 Flüchtlinge in der Stadt verbleiben – unter der Bedingung, daß die Belieferung mit Nahrungsmitteln auch nach Ablaufen der dreiseitigen Vereinbarung möglich bleibt. Doch schon gestern gab es hier erste Schwierigkeiten. Ein von Belgrad kommender und für Srebrenica bestimmter Konvoi mit neun LKWs wurde von serbischen Soldaten gestoppt.

Evakuiert werden müssen nach UNHCR-Meinung lediglich die Verwundeten, deren Zahl auf rund 500 geschätzt wird. Bis Montag fanden allerdings nur Evakuierungen per Helikopter und in entsprechend geringen Größenordnungen statt. Der für gestern vorgesehene erste Landtransport, für den das UNHCR zehn leere Lastwagen nach Srebenica geschickt hatte, wurde von den muslimischen Stadtbehörden zunächst untersagt.

Der bosnische Präsident Alija Izetbegović zeigte sich mit der für Srebrenica gefundenen Lösung weitgehend zufrieden. „Trotz allem ist offenbar ein Weg gefunden worden, auf dem die Stadt möglicherweise gerettet werden kann“, erklärte der Staatschef am frühen Montag morgen.

Nach ihrem Erfolg bei Srebrenica haben sich serbische Truppen nunmehr auf den Norden Bosniens konzentriert. Dabei wurden aus den Städten Maglaj und Olovo erbitterte Gefechte gemeldet. Olovo, knapp 40 Kilometer nördlich von Sarajevo, ist zentraler Punkt der Nachschublinie für den vorwiegend muslimisch kontrollierten Norden Bosniens. Ein serbischer Erfolg an dieser Stelle würde nach Meinung von Beobachtern die moslemischen Verteidigungsbemühungen für den Norden des Landes nachhaltig stören.

Der Oberbefehlshaber der UNO-Friedenstruppen in Bosnien-Herzegowina, der französische General Philippe Morillon, wird von seinem Posten doch nicht abberufen. Dies erklärte der französische Ministerpräsident Edouard Balladur am Sonntag in einem Fernsehinterview. Am Dienstag hatte Verteidigungsminister Francois Leotard noch gesagt, Morillon werde Anfang Mai seinen Posten aufgeben müssen. Andreas Zumach