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Der Demokratiekaiser von Kenia ist nackt

Formal ist Kenia heute eine Demokratie, aber politische Gewalt und Korruption bestimmen den Alltag  ■ Aus Nairobi Bettina Gaus

Eine bizarre Szene ereignete sich vor rund einem Monat in Kenias Hauptstadt Nairobi: Mitten in der modernen Innenstadt zwischen Hochhäusern und Luxusgeschäften prügelten Hunderte von traditionell gekleideten Massai auf Passanten ein, bedrohten sie mit Peitschen und langen, krummen Messern. Die Krieger des Nomadenvolkes waren für ihr Werk, dem die Polizei tatenlos zusah, geheuert worden: Der Generalsekretär der Regierungspartei KANU, Joseph Kamothe, gab wenig später zu, seine Partei habe die Massai am Tag der Parlamentseröffnung nach Nairobi gebracht, um Anhänger der Opposition, „die dafür bekannt sind, Chaos zu erzeugen“, einzuschüchtern.

Vier Monate nach den allgemeinen Wahlen in Kenia, bei denen auf Druck der reichen Geberländer auch oppositionelle Parteien und Kandidaten zugelassen waren, scheint die junge Demokratie in dem ostafrikanischen Land erneut bedroht: „Präsident Moi und KANU haben die Wahlen gewonnen, weil die Opposition zerstritten ist. Jetzt glaubt die Regierung, sie könne genauso weitermachen wie früher“, sagt ein Diplomat.

Nach außen hin bietet Kenia fast überall ein Bild tiefsten Friedens. In der Rift Valley Provinz liegen sattgrüne, hügelige Wiesen und ertragreiche Maisfelder, zwischen denen verstreut grasgedeckte, runde Hütten und kleine, aus Natursteinen gebaute Häuser zu sehen sind. Aber in dieser Idylle haben blutige Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Volksgruppen seit Frühjahr letzten Jahres mehr als 700 Todesopfer gefordert. 54.000 Menschen wurden einem parlamentarischen Untersuchunsbericht zufolge in 13 Distrikten von ihren Bauernhöfen vertrieben. Ihr Hab und Gut ist zerstört und geplündert – und das Morden und Brandschatzen geht weiter. Mehr als 300 Familien flohen am vergangenen Wochenende aus dem Narok-Distrikt vor Angriffen bewaffneter Massai, die sechs Menschenleben forderten.

Provinzkommissar Ishmael Chelang'a allerdings beurteilt die Lage optimistisch: „In den meisten Gegenden hat sich die Situation beruhigt“, versichert er Diplomaten von acht ausländischen Missionen, darunter auch der deutsche Botschafter Bernd Mützelburg, die sich vor Ort informieren wollen. „Die Wiederansiedlung der Flüchtlinge geht gut voran.“

Das sehen viele der Betroffenen anders. Im Versammlungssaal einer Schule in der Kleinstadt Molo wollen Hunderte von Vertriebenen den angereisten Diplomaten ihre Geschichte erzählen. „Als ich im März dieses Jahres nach Hause zurückging, ist mein Haus verbrannt worden, das vorher noch stand“, sagt eine Frau, die nur mühsam die Tränen zurückhalten kann. Drei ihrer fünf Kinder seien getötet worden: „Wollen Sie, daß ich mit meinen letzten beiden Kindern dahin gehe, wo sie auch umgebracht werden? Es gibt dort keine Sicherheit.“

Auch die etwa 200 Bauern, die im Gemeindesaal der katholischen Kirche des Ortes Elburgon sitzen, fordern staatliche Sicherheitsmaßnahmen. Ein Mann berichtet, wie am 28. Februar seine Frau vor seinen und der Kinder Augen „von Angreifern“ vergewaltigt wurde. Ein anderer meint: „Es ist pure Heuchelei, uns zu sagen, wir sollen zurückgehen. Die Schuldigen sitzen nicht im Gefängnis.“

„Trotz der zahlreichen Morde und Überfälle ist bisher niemand vor Gericht gestellt worden“, erklärt der katholische Bischof von Nakuru, Ndingi Mwana a'Nzeki, der vielen Flüchtlingen auf kirchlichem Gelände Zuflucht bietet. „Leute werden verhaftet, scheinen Aussagen zu machen – und das war's dann offenbar auch.“

Provinzkommissar Chelang'a hält Gespräche zwischen Ältesten der verschiedenen Volksgruppen für den besten Weg, den Frieden wiederherzustellen. Von erhöhter Polizeipräsenz verspricht er sich keine Wirkung – eine erstaunliche Äußerung für einen Mann, der für die polizeiliche Arbeit zuständig ist. Als die blutigen Konflikte begannen, war Chelang'a, damals noch Distriktkommissar, für die Gegend um Molo zuständig. „Vier Angehörige der lokalen Verwaltung, die während der Auseinandersetzungen verantwortliche Posten besetzt hatten, sind inzwischen befördert worden“, wundert sich Frederick La Sor von der US- Botschaft. „Ich frage mich, welcher Eindruck damit bei der Bevölkerung erweckt wird.“

Das kommt darauf an, zu welchem Teil der Bevölkerung man gehört. Im Ort Kamuingi, der letzten Station der diplomatischen Informationstour, versammeln sich etwa 700 Männer und Frauen unter freiem Himmel. Sie gehören fast alle zu den Kalenjin, einem Volk von Viehzüchtern, das etwa elf Prozent der Gesamtbevölkerung Kenias stellt. Sein prominentester Sohn: Kenias seit 1978 autoritär regierender Präsident Daniel arap Moi. Er hatte „Stammeskämpfe“ vorhergesagt, als er vom Ausland Ende 1991 zu demokratischen Reformen gezwungen worden war. Die Bevölkerung von Kamuingi ist seiner Meinung: Die Einführung des Mehrparteiensystems, so betont ein Sprecher nach dem anderen, sei für den Ausbruch der ethnischen Konflikte verantwortlich. „Die Kikuyu wollten das Mehrparteiensystem und wir nicht“, meint der Bauer Paul Kiprotich und erntet damit lebhafte Zustimmung. „Die Kikuyu wollen alle Kalenjin-Führer umbringen.“

Die ackerbauenden Kikuyu, aus deren Reihen Kenias erster Präsident Jomo Kenyatta stammte, sind das größte der insgesamt 40 Völker des Landes. Seit der Unabhängigkeit 1963 haben sie große Ländereien von den Kalenjin und den nomadisierenden Massai gekauft – aber jahrelang lebten die verschiedenen Ethnien friedlich als Nachbarn zusammen. Woher rührt die plötzliche Feindseligkeit?

Kritiker der Regierung sehen die politische Führung des Landes selbst als Brandstifter. „Kenia hat eine Polizei und eine gut ausgebildete Armee. Wenn die Regierung wollte, könnte sie den Greueltaten sofort ein Ende machen“, meint die bekannte Umweltschützerin Wangar Maathai. Auch Bischof Ndingi glaubt: „Diejenigen, die jetzt die Bauernhöfe der Vertriebenen besetzen, würden sofort gehen“, und er schnippt mit den Fingern, „wenn sie dazu aufgefordert würden.“ Aber niemand fordert sie dazu auf. Im Gegenteil: Minister William ole Ntimama behauptete noch Anfang April im Rift Valley, die Opposition kaufe Gewehre und trainiere junge Männer, „um Chaos in der Provinz zu erzeugen“. Er rief die Bevölkerung auf, „sich zur Selbstverteidigung bereitzuhalten“.

„Vor den Wahlen habe ich das ja alles noch verstanden“, meint ein Diplomat, „da wollte die Regierung eben zeigen, daß Demokratie und ein Mehrparteiensystem zum Bürgerkrieg führen. Aber was soll das Ganze jetzt, wo die Wahlen gewonnen sind?“ Ein Volkswirt in Nairobi hat dafür eine einfache Erklärung: „Die Politiker wollen von dem katastrophalen Wirtschaftsdesaster in Kenia ablenken. Sogenannte Stammeskämpfe sind immer noch weniger peinlich.“

Die Zeiten, in denen Kenia als wirtschaftliches „Musterland“ gegolten hatte, sind vorbei. Straßen, die noch vor wenigen Jahren regelmäßig ausgebessert wurden, weisen inzwischen tiefe Schlaglochkrater auf. Die Slums in Nairobi wachsen ebenso wie die Zahl der zerlumpten Kinder, die um ein paar Schillinge „für Brot“ betteln. Vor einigen Wochen haben sich die Preise für nahezu alle Güter verdoppelt oder gar verdreifacht, nachdem die Regierung überraschend im Februar die völlige Freigabe der Devisenkurse verkündet hatte und der Wert des Schillings daraufhin um die Hälfte abstürzte. Im März zog die Regierung die Notbremse und führte erneut strenge Devisenkontrollen ein – seither blüht der Schwarzmarkt. Die Preise blieben oben.

Die Regierung macht die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds (IWF) für die Misere verantwortlich. Harte Bedingungen wie der Abbau von 45.000 Stellen im öffentlichen Dienst und die Streichung von Subventionen müßten erfüllt werden, um eine seit November 1991 gesperrte Finanzhilfe in Höhe von 350 Millionen Dollar zu erhalten. Kenias Politiker taten einen spektakulären Schritt: Sie erklärten, das Wirtschaftsprogramm von IWF und Weltbank nicht mehr implementieren zu wollen – der offene Krach war da.

„Ein lächerliches Schattenboxen“ nannte der Journalist Tom Mshindi diesen Streit – und tatsächlich geht es dabei um weit mehr als um Zinspolitik und Stellenabbau. Korruption und die künstliche Vermehrung der Geldmenge sei Kenias Regierung vor allem vorgeworfen worden, heißt es in Kreisen der Weltbank. Tatsächlich stieg die Geldmenge im letzten Jahr um 35 Prozent – angeblich vor allem, um den aufwendigen Wahlkampf von KANU zu finanzieren. Inflation ist die unausweichliche Folge. „Wenn irgend etwas korrekt als wirtschaftlicher Selbstmord beschrieben werden kann, dann reicht diese Handlungsweise allein bereits aus“, war in einer Analyse der Tageszeitung Nation zu lesen.

Ungeachtet des öffentlichen Zerwürfnisses wird zwischen IWF, Weltbank und Regierung weiter verhandelt. Aber die Bedingungen werden eher härter als milder ausfallen, zumal führenden Politikern noch weit Schlimmeres vorgeworfen wird: Um sich bereichern zu können, sollen sie dafür gesorgt haben, daß die Zentralbank und andere Institutionen erhebliche Mittel in unsolide, sogenannte „politische“ Banken investierten, von denen sie dann – offenbar ohne ausreichende Sicherheit – Kredite erhielten. Die Regierung hat die Anschuldigungen stets als haltlos zurückgewiesen.

Aber die Dementis werden mühsamer: In der letzten Woche mußte die „Trade Bank“, die als eine der „politischen“ Banken gilt, wegen „Mißmanagements“ ihre Pforten schließen. Hunderten von kleinen Kunden droht der Verlust all ihrer Ersparnisse. Auch die Sozialversicherung des Landes soll Millionen in unsolide Banken gesteckt haben, die jetzt verloren zu sein drohen.

Leitartikler Kwendo Opanga wies am Sonntag in der Nation darauf hin, daß die Regierung stets die Existenz „politischer“ Banken bestritten hat, und schrieb: „Das einzige, was die Regierung nicht dementieren kann, ist, daß sie die Regierung ist. Augenblick mal! Ein Kollege sagt mir gerade, daß ich darauf auch nicht wetten könne ...“

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