piwik no script img

Ausverkauf nach Lemberger Art

In Lviv kommen Kneipen und Wohnungen unter den Hammer / Die ukrainische Privatisierung läuft an, doch woher kommt das Geld?  ■ Von Klaus Bachmann

Warschau (taz) – Obwohl sie noch gar nicht fertiggebaut ist, ist die Kneipe Lisnyj (zu deutsch Waldrestaurant) die bisher teuerste in Lviv, was allerdings nur daran liegt, daß man den Preis der anderen noch nicht kennt. Insgesamt 70 Prozent des kommunalen Eigentums der westukrainischen Großstadt sollen in nächster Zeit unter den Hammer kommen, dann erst wird man wissen, ob umgerechnet 55.000 Dollar für die Vorstadtkneipe viel oder wenig waren.

Vor gut einem Monat wurden 17 Objekte in Anwesenheit von ungefähr eintausend Geschäftsleuten und Zuschauern im Lemberger Kino Mir versteigert – zu Preisen zwischen 1.200 und 55.000 Dollar. Über die Hälfte davon ging an die Belegschaften, denen man insoweit entgegenkam, als nur das bewegliche Vermögen verkauft, der Rest dagegen verpachtet wurde. Auf ukrainisch nennt sich diese Art der Privatisierung Arenda und entspricht etwa dem westlichen Leasing: Nach einer gewissen Zeit erhält der Pächter die Möglichkeit, alles zu einem Restwert als Eigentum zu erwerben.

Oleksandr Barabasch, Sekretär der Parlamentskommission für die Wirtschaftsreformen, ist ein engagierter Befürworter dieser Form der Privatisierung. „Unsere bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, daß eine Privatisierung, als purer Ausverkauf betrieben, keinen großen Erfolg hat“, erklärt er. „Der Verkauf von Wohnungen in Kiew erwies sich zum Beispiel als Flopp. Die Bevölkerung zieht nicht mit. Bei Umfragen stellte sich heraus, daß 57 Prozent der befragten Arbeiter keinerlei Interesse an der Privatisierung haben, bei den Rentnern sind sogar 97 Prozent dagegen.“ Die Arenda indes wird offenbar in der Bevölkerung nicht unbedingt mit Privatisierung gleichgesetzt. Und vor allem: der Aufwand ist wesentlich geringer. Die Kaufsumme muß nicht auf einmal aufgebracht werden. Barabasch: „Wir haben inzwischen schon 10.000 Arenda-Betriebe in der Ukraine. Es hat sich dabei erwiesen, daß in den einzelnen Regionen der Produktionsrückgang bei Arendabetrieben wesentlich geringer ausfiel als im Durchschnitt.“ In einigen Fällen, wie zum Beispiel auf der Krim, gelang es Arendabetrieben sogar, die Produktion zu steigern, während sie in der staatlichen Wirtschaft weiter absank.

In vielen Fällen wird das regierungsamtliche Privatisierungspgrogramm allerdings boykottiert – mal von konservativen Stadt- und Kreisräten, die über das kommunale Eigentum herrschen, mal von einander widersprechenden Paragraphen wie in Odessa, wo eine Sonderwirtschaftszone entstehen soll. Positiv äußern sich jedoch alle, von Offiziellen über Geschäftsleute bis zur Presse, über das Pilotprojekt Lviv, das von der International Finance Corporation begleitet wird, die auch bereits im letzten Jahr die Privatisierung in Nizni Novgorod (früher Gorki) in Rußland organisierte. Auch deren Experten sind hochzufrieden: Der Erlös aus dem Verkauf der 17 Objekte in Lviv sei 20mal höher als erwartet. Einen Beitrag dazu dürfte allerdings die horrende Inflation geleistet haben.

Ob sich durch die Privatisierung bei nach wie vor mangelnder Konkurrenz auch für die Kunden etwas zum Besseren verändert, wird sich erst noch zeigen müssen. In Lviv wurde letztes Jahr besipielsweise der Fernsehhersteller Elektron privatisiert. Pawlo Schewtschenko, Chefredakteur der Lemberger Wirtschaftswochenzeitung Dilo, inzwischen stolzer Aktienbesitzer: „Am Management hat sich dadurch nichts geändert, nur die Preise für Fernseher sind gestiegen.“

Die Behörden stecken indes in dem Dilemma, daß sie einerseits gerne den Zufluß von Schwarzgeld in die Privatisierung verhindern möchten, andererseits aber auf jede Art von Kapital angewiesen sind. In Lviv wiegelt man die Bedenken mit der Begründung ab, die Objekte seien viel zu klein, um die Mafia zu interessieren. Doch woher das Geld schließlich kommt, hat keiner nachgeprüft. Bei einem Durchschnittseinkommen von rund 15 Dollar im Monat sind die drei- und vierstelligen Geldbeträge, für die manche Objekte über den Tisch gehen, schon ein gewaltiges Vermögen.

Bei der Privatisierung größerer Betriebe werden die Verantwortlichen auf manche Skrupel wohl ganz verzichten müssen. Privatisierung ohne die Mafia wird es nicht geben, so vermuten die Insider. Und auch auf der offiziellen Seite setzt sich immer mehr die Ansicht durch, daß es besser sei, die Mafiagelder in die Wirtschaft zu integrieren, als machtlos zuzusehen, wie sich die Schattenwirtschaft immer weiter ausbreitet. Die Frage dabei ist nur, ob die Privatisierung die Mafia zivilisiert, oder die Wirtschaft immer mafiöser wird. Die Probe aufs Exempel steht demnächst an: In Kiew sollen die Binnenschiffahrtsgesellschaft Ukritschflot und in Odessa eine Fleischfabrik unter den Hammer kommen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen