: Illgnersche Perspektiven
Borussia Dortmund erreicht gegen Auxerre nach 0:2 und 6:5 im Elfmeterschießen das Finale im UEFA-Cup und wieder wurde ein Held geboren ■ Von Thomas Winkler
Berlin (taz) – Fußball ist, wie wir alle wissen, ein recht primitives Spiel. Im Grunde genommen balgen sich halt 22 Personen um ein rundes Lederding. Nichts anderes fand auch in der französischen Kleinstadt Auxerre statt. Und doch wollten Zehntausende dabei sein und fanden keinen Einlaß, wurden vor den Toren sogar gefälschte Eintrittskarten verhökert. Sie alle wußten, daß dies eine Nacht werden würde, in der Helden geboren werden sollten.
Damit das Heldenmachen erfolgreicher von der Hand geht, hat man das Elfmeterschießen erfunden. Diese herzinfarktiöse Form der Entscheidungsfindung ist zwar auch ein „Glücksspiel“ (der spätere Held Klos), aber dramatischer als der schnöde Münzwurf, der vor gar nicht langer Zeit noch darüber entschied, welche Hälfte der 22 Ausgelaugten die letzten Kräfte zum Jubeln mobilisieren darf.
Doch zuerst einmal mußte der AJ Auxerre seine Pflicht erfüllen und den 0:2 Rückstand des Vorspiels aufholen. Natürlich mit dem exakt gleichen Ergebnis, weil sonst die berüchtigte Auswärtstorregel zum Tragen gekommen und die Heldenkürung verschwommener gewesen wäre. Sie taten, wie ihnen geheißen. Bereits nach acht Minuten traf Monsieur Martins, der auch sonst den überragenden Mann auf dem Platz mimte, und in der 72. Minute hielt Frank Verlaat, holländischer Libero in Diensten von Auxerre, seinen Kopf in einen Freistoß. 2:0, die Zuverlässigen hatten ihre Pflicht getan, genauso wie auf der anderen Seite die Herren Schulz oder Kutowski, die sich heldenmutig in die französischen Angriffe warfen, um die Dramaturgie zu retten.
Aber Helden hätten andere werden können. So Dutuel, der anstatt des leeren Tores nur die Latte traf. Oder Stéphane Chapuisat, der allein vor dem Tor den Ball 20 Zentimeter neben den rechten Pfosten setzte. Doch als sich die nach zwei gerecht verteilten Platzverweisen nur noch 20 Erschlafften durch die Verlängerung geschleppt hatten, war es an der Zeit.
Torhüter werden dann Helden, wenn sie sich beim Elfmeter in die richtige Ecke werfen. Achtmal hatten Stefan Klos und sein angeblich als Elfmeter-Killer berühmter und deshalb von Auxerres Trainer Guy Roux aufgebotener Gegenspieler Charbonnier falsch gewählt. Dann lief Michael Zorc an und vermied eine opernreife Tragik. Dabei wäre es so hübsch gewesen: Zwei Wochen nach dem Elfer in Dortmund auch noch den in Auxerre zu verschießen. Statt dessen verwandelte Zorc so sicher, wie man es seit dem Rücktritt von Paul Breitner nicht mehr gesehen hatte.
Doch ein Held mußte gefunden werden. Deshalb trat Mahe an, schob den Ball seinem Erschöpfungszustand angemessen schlapp in Richtung Klos, der fiel nach rechts um und war fortan unsterblich. Berti Vogts aber, immerhin ja Bundestrainer, sah keine rosige Zukunft für den 21jährigen: „Er hat unheimlich gute Perspektiven und könnte einen Weg wie Bodo Illgner gehen.“ Ja, Helden haben's schwer. Kaum aufgestiegen, wird ihnen schon der Fall prophezeit.
Borussia Dortmund: Klos - Zelic (105. Grauer) - Schmidt, Schulz, Kutowski - Lusch (74. Mill), Zorc, Rummenigge, Karl, Reinhardt - Chapuisat
Zuschauer: 18.500 (ausverkauft)
Tore: 1:0 Martins (8.), 2:0 Verlaat (71.)
Elfmeterschießen: 0:1 Karl, 1:1 Vahirua, 1:2 Chapuisat, 2:2 Prunier, 2:3 Reinhardt, 3:3 Laslandes, 3:4 Schulz, 4:4 Verlaat, 4:5 Zorc, 5:5 Dutuel, 5:6 Rummenigge, Mahe gehalten
Gelb/Rote Karten: Kutowski (98.), Guerreiro (107.) beide wegen wiederholten Foulspiels
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