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Auf dem Land im Morgengrauen

Gespräch mit Zhang Yimou, Regisseur von „Die Geschichte der Qui Ju“  ■ Von Gerhard Midding

taz: Ihr neuer Film „Die Geschichte der Qui Ju“ unterscheidet sich sehr von Ihren früheren Arbeiten, deren Sujets meist tragisch waren und die auf sehr stilisierte Weise erzählt wurden. Ist die Wahl eines eher komödiantischen Stoffes und eines beinahe dokumentarischen Erzählgestus für Sie eine bewußte Abkehr?

Zhang Yimou: In den Filmen der Regisseure der sogenannten „Fünften Generation“ hier in China herrschen Tragödienthemen vor; wir haben einen Stil kultiviert, der wenig Raum für Realismus und Humor ließ. Daß ich nun eine Komödie gedreht habe, kann man vielleicht eher als eine Abweichung denn als eine Abkehr bezeichnen. Dabei möchte ich den Film gar nicht unbedingt als Komödie kategorisieren. Die meisten Filme dieses Genres arbeiten mit der Übertreibung, mit der Überzeichnung der Figuren und Situationen; man merkt ihnen die Anstrengung an, das Publikum zum Lachen zu bringen. Der Humor in „Qui Ju“ ist demgegenüber eher leise, er entwickelt sich aus dem Alltag, aus Figuren und Situationen, die realistisch gezeichnet sind. Sehr viele humorvolle Elemente haben sich auch erst während der Dreharbeiten, bei der Improvisation ergeben.

Ihre früheren Filme sind zunächst nicht in China gezeigt worden, obwohl sie weltweit auf Festivals Preise gewonnen haben. „Qui Ju“ ist eine Satire auf die Bürokratie. Ist der Film dadurch im Kontext des chinesischen Kinos subversiv?

Er wurde zumindest nicht so aufgenommen. Er ist problemlos für den Verleih in China freigegeben worden und wurde bislang sehr gut aufgenommen, auch von Politikern und Bürokraten. Tatsächlich ist der Humor ja sehr zurückgenommen, ist eher sanft und dadurch spezifisch chinesisch. Einige Aspekte mögen Sie als Europäer verstanden haben, es gibt andere, die sich nur einem Chinesen mitteilen und dem Film einen etwas anderen Hintergrund geben. Aber dieser Hintergrund wurde von niemandem als wirklich subversiv empfunden.

Eine weitere Abweichung liegt darin, daß „Judou“ und „Rote Laterne“ in isolierten Gemeinschaften spielten, „Qui Ju“ demgegenüber die gesamte Gesellschaft thematisiert.

Das liegt auch darin begründet, daß ich hier eine zeitgenössische Geschichte erzähle. Die früheren Filme spielten in einer feudalen Gesellschaft, und da interessierten mich Geschichten, die sich hinter verschlossenen Türen abspielen. Das heutige China wird von einem starken Wandel geprägt, von einem Niedergang der Traditionen, die sich zu einem Teil noch auf die feudale und vorkommunistische Gesellschaft berufen. Angesichts dieses Wandels stellt sich für mich mit jedem Film die Frage nach den Ansprüchen, die die Gesellschaft an das Individuum stellt, neu. Ich glaube, das ist ein Thema, das mich in all meinen Filmen beschäftigt, aber diesmal wollte ich einen direkteren, einen unverschlüsselten Blick auf die heutige Gesellschaft werfen.

Die Dreieckskonstellation in „Judou“ – der unfruchtbare, alte Mann, seine junge Braut und deren junger Geliebter – hat große Ähnlichkeit mit Figurenkonstellationen, die für den film noir charakteristisch sind – man denke an „The postman always rings twice“ – und die sich bis in die griechische Mythologie zurückverfolgen lassen. Sind Sie sich dieser Ähnlichkeiten bewußt, haben diese Stoffe gar einen Einfluß auf Sie ausgeübt?

Nein, auf diese Vergleichbarkeit haben mich erst Journalisten aus dem Westen hingewiesen. Ich finde es faszinierend, daß sich solche Motive und Themen in zwei unterschiedlichen Kulturen, zwischen denen es traditionell so gut wie keinen Austausch gegeben hat, entdecken lassen. Tatsächlich ist diese Art von Geschichte gar nicht so selten in der nationalen wie auch der regionalen Kultur Chinas. Sie sind ein Teil der Folklore und haben Eingang in die Poesie und die Opernliteratur gefunden, aber auch in die Alltagssprache.

Sie haben als Kameramann, unter anderen für Chen Kaige, begonnen und später auch als Schauspieler gearbeitet, beispielsweise in „A Terracotta Warrior“. Welche von beiden Tätigkeiten hat auf Ihre Regiearbeit den größeren Einfluß ausgeübt?

Es fällt mir schwer, das zu entscheiden, denn ich glaube, daß beide zusammen eine unverzichtbare Grundlage sind, damit ein Film Anziehungskraft auf das Publikum ausübt. Die Kameraarbeit habe ich an der Akademie in Peking studiert und dabei sehr früh gelernt, wie wichtig es ist, die visuellen Ausdrucksmittel des Films kontrollieren zu können. Mir war aber auch von Anfang an klar, daß die Zuschauer nicht nur in einen Film gehen, um die Ausstattung, die Kostüme oder die Ausleuchtung zu bewundern; sie wollen vielmehr mit ansehen, wie ein Schauspieler einer Figur Leben verleiht. Deshalb waren meine eigenen Erfahrungen für mich sehr wichtig; sie erinnerten mich daran, daß Darsteller nicht nur Werkzeuge sind.

„Rotes Kornfeld“ und Ihre folgenden Filme zeichneten sich durch die Strenge der Bildkomposition und die Kraft der Primärfarben aus. Auf welche künstlerischen Traditionen berufen Sie sich?

Mein Umgang mit der Farbe hat zunächst einmal sehr viel mit der Umgebung zu tun, in der ich aufgewachsen bin: in Xian, im Norden Chinas. Dort sind die Farben des Alltagslebens sehr kräftig. Sie repräsentieren Lebensstadien wie die Geburt, die Heirat, den Tod. Sie haben also auch im Leben eine dramatische Funktion. Das hat mich schon sehr früh fasziniert und beeindruckt.

Bei der Vorbereitung eines Films spreche ich mit meinen Mitarbeitern sehr ausführlich über dessen visuelle Gestaltung. Meist ziehe ich dabei zum Vergleich die Malerei, ein bestimmtes Ölgemälde oder ein Pastell heran. Letztlich inspiriert uns aber häufiger die Bauernmalerei der Region, in der der jeweilige Film spielt. Das ist eine sehr originäre Ausdrucksform, und wenn man sich ihrer als Anregung bedient, kann sie zur Authentizität eines Films entscheidend beitragen.

Die Farben sind in „Qui Ju“ erheblich verwaschener, gedämpfter. Erklärt sich auch das aus dem Schauplatz, der Region?

Die Abweichung, der Unterschied liegt zu einem großen Teil darin, daß ich die Farben in „Judou“ und „Rote Laterne“ sehr stilisiert verwendet habe. Hier wollte ich nun aber einen stärkeren Realismus. Die Farben im Film entsprechen keiner genau festgelegten Dramaturgie, wir haben beispielsweise keinen Ausstatter verpflichtet, der die Schauplätze umdekoriert hat. Entscheidend war auch, daß gut die Hälfte der Einstellungen mit einer versteckten Kamera aufgenommen wurde.

Stellte das für Sie eine technische oder eine eher erzählerische Herausforderung dar?

Es war meine bewußte Entscheidung, mich selbst in eine Situation zu bringen, in der eine Inszenierung, die auf Stilisierung abzielt, unmöglich war. Technisch stellte uns das natürlich vor ganz enorme Probleme. Anders als hier in Europa quellen die Straßen in China über von Menschen, und es war sehr schwierig, unbemerkt zu bleiben, zumal die Chinesen ihrer Natur nach ein sehr neugieriges Volk sind. Wir haben am Vorabend die Drehorte und unser jeweiliges Versteck ausgewählt und uns dort im Morgengrauen mit Kamera und Mikrofon postiert, um dann zu der Tageszeit zu drehen, in der es die meisten Menschen auf der Straße gab. Anfangs haben wir der Polizei von unserem Vorhaben erzählt, um nicht als mögliche Diebe oder Wegelagerer verhaftet zu werden. Dann stellte sich jedoch heraus, daß die Beamten in neun von zehn Fällen ihren Freunden und Bekannten Bescheid sagten. Und dann sahen wir uns am nächsten Morgen von lauter Schaulustigen umgeben! Dennoch gelang es uns später, unentdeckt zu bleiben. Gelegentlich wußten nicht einmal die Schauspieler, daß eine Kamera auf sie gerichtet war.

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