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Falsches Geburtshaus und falsches Datum

■ Bei der gestrigen Enthüllung einer Gedenktafel für den ehemaligen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, Heinrich Stahl, gab es erneut eine Peinlichkeit

Neukölln. Die Peinlichkeiten um die Enthüllung der Gedenktafel für Heinrich Stahl am Haus Alt- Rudow 43 nehmen kein Ende. Nicht nur, daß gestern ein Nachbarhaus zur Geburtsstätte erhoben werden mußte, weil der heutige Besitzer des richtigen Grundstückes antisemitische Anschläge fürchtete, nein, auch die Inschrift auf der Gedenktafel ist falsch. Heinrich Stahl war nicht, wie auf der weiß-blauen Porzellantafel zu lesen, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin von 1933 bis 1942, sondern er war es bis 1940. Volksbildungsstadtrat Wolfgang Schimmang (SPD), für Gedenktafeln im Bezirk Neukölln zuständig, gab sich aber gegenüber der taz gelassen. „Irren ist menschlich“, sagte er, „nur wer nicht arbeitet, macht auch keine Fehler.“ Auch die bei der Gedenktafelenthüllung zahlreich anwesenden Enkel und Enkelkinder aus Amerika und Australien hätten den Irrtum souverän genommen, sagte Schimmang. Für sie sei wichtiger, daß der im November 1942 im Konzentrationslager Theresienstadt Umgekommene – er starb an einer nicht behandelten Lungenentzündung – überhaupt in Neukölln geehrt wird.

Die historisch ungenaue Tafel wird nicht lange hängen, betonte gestern der Volksbildungsstadtrat in seiner Ansprache. Denn vermutlich im Herbst wird das Zweifamilienhaus in Alt-Rudow 43 zugunsten einer Ladenpassage abgerissen. Der Besitzer habe zugesichert, daß auch nach einer Erneuerung des Hauses die Tafel an einem repräsentativen Platz hängen darf. Vermerkt werden wird dann auch, daß das eigentliche Geburtshaus von Heinrich Stahl (13. April 1868) nebenan, nämlich Alt-Rudow 41, stand. Wie berichtet, weigerte sich der jetzige Besitzer, Bäcker Bannert, eine Tafel am Haus oder im Garten aufstellen zu lassen, aus der hervorgeht, daß Heinrich Stahl Jude war. Dessen Verhalten nennt Hermann Simon, Direktor der Stiftung „Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum“, für einen „Skandal“. „Wo leben wir eigentlich“, fragte er.

Geehrt wurde gestern abend Heinrich Stahl in dem nach ihm benannten Saal in der Jüdischen Gemeinde. Hermann Simon hielt die Festansprache, rechtzeitig fertig geworden ist auch seine in der Edition Hentrich erschienene Festschrift. Obwohl Heinrich Stahl in den dreißiger Jahren hätte auswandern können, ist er bei seiner Gemeinde geblieben. Und einzigartig für einen herausragenden Repräsentanten der Jüdischen Gemeinde während der Nazizeit ist auch, daß er die Zwangsintegration in die „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ nie akzeptierte. aku

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