piwik no script img

Vater und Sohn Dandy

Brett und Bowie: Das Paar, über das man jetzt spricht  ■ Von Thomas Groß

Suede wie Blue Suede Shoes, auf die man nicht drauftreten soll, wenn man keinen Ärger kriegen will. Nicht gerade ein irre origineller Name für eine Band, die (mal wieder) als Zukunft des Brit-Pop gehandelt wurde, bevor sie auch nur eine einzige Single draußen hatte. Titelblätter auf allen maßgeblichen Magazinen, großflächige Interviews im Vorfeld der (jetzt endlich erschienenen) ersten LP: Die allgemeine Depression scheint in England so groß, daß Wunder wieder in Mode kommen – notfalls auch hausgemachte. Das Königshaus ist ja auch nicht mehr, was es mal war.

Anders nämlich wäre noch weniger zu kapieren, warum es gerade Suede getroffen hat. Die Features zeigen vier jüngliche Männer in großkragigen Polyesterhemden und Eierquetscherjeans – Vorstadttypen, die so gar nicht wie Stars der Zukunft wirken, eher wie Irrgänger aus den Siebzigern, die durch irgendeinen Zufall in einem Winkel von Suburbia überlebt haben.

Was natürlich gerade der Trick ist: Oh, soll man sich beim zweiten Hinsehen sagen, schau dir diese interessante Blässe an, diesen proletarischen Stolz, der vielleicht in irgendeiner Fischbratküche gereift ist und trotz Hofiertwerdens durch die Presse im Grunde auf Beifall von der falschen Seite pfeift. Und schon meint man die Besonderheit auch tatsächlich zu entdecken, dieses, äh... Fluidum um Sänger Brett Anderson, der mit seinen strähnigen Haaren und interessant vom Nachtleben umflorten Augen wirkt wie Vanessa Redgrave in einer Männerrolle.

Daß der Typ auch noch singt wie der junge Bowie (auf den er sich in Interviews gefragt und ungefragt pausenlos beruft), erhöht den Wiedererkennungswert: Flankiert von allerhand Glam-Insignien und biographischem Pomp kehrt die gute alte Androgynität zurück. Es ist nicht mehr der weißgewaschene genetische Barock von Michael Jackson, sondern ein „wirkliches“, ein ertrotztes Anderssein in einer Situation, in der man die Hoffnung auf wirre junge Genies in Britannien schon fast abgeschrieben hatte: schwere Kindheit in einem Suburb namens Haywards Heath, Kämpfe um das bißchen Lyrik, das dunkle Ecken und rare Clubs hergeben, Aufbruch nach London, wo wieder lange Jahre der Entbehrung bevorstehen.

Schließlich Coming-out als häßlichschöne Schwäne einer Szene, die sich von House, HipHop und (Post-)Rave allein nicht mehr amüsieren mag und nichts so sehr braucht wie halbwegs originelle Redefinitionen von Sex und Aufruhr. England erzählt sich selbst noch einmal das Märchen vom Außenseiter als Paradiesvogel, ausgestattet mit allen dazu nötigen Sekundärtugenden: Dandyismus, Exzentrizität und sexuelle Uneindeutigkeit.

Brett als Lieblingstunte des Betriebs – eine Geschichte wie von Dickens; der zum Happy-End bloß noch eine Nebensache fehlt, immerhin eine entscheidende: die Musik. Die LP, klassisch understatementmäßig „Suede“ betitelt, setzt denn auch alles auf eine Karte und geht die Frage, warum Suede so großartig sind, schon im ersten Stück frontal an: „Because we're young, because we're gone, we'll take the tide's electric mind, oh yeah, oh yeah!“ Schon setzt die Gitarre zu einem langgezogenen, kontrolliert hysterischen Ächzen an, Anderson atmet noch einmal durch, bevor er mit ganz großem Pathos in den Refrain geht und die Melodie in Kopfstimmenwahnsinn umkippen läßt: „Let's chase the dragon, oooooooh“.

Hymne nennt man so was wohl, dieses strotzende Abfeiern des Zentralwerts aller Jugendkultur, und ohne Zweifel ist „So Young“ ein großartiger Song, ein „All The Young Dudes“ der jüngsten Generation, bloß, wie soll ich sagen... gibt es einfach zu wenig davon auf diesem schon vorab ausgelobten Debüt. Die paar Glam-Rock-Anleihen reichen nicht aus zu einer wirklichen Neuformulierung aktuellen Gitarrenpops jenseits von „Noise“, Nostalgie und „Schrammel“, die Balladen wollen eine schöne Exaltiertheit herbeizaubern, ohne daß das wirklich (wie tüchtig herbeigeschrieben) den Glanz des ersten Smiths-Albums erreicht.

Um noch ein bißchen Substanz wettzumachen, hat man das Material mit den drei vorab erschienenen Singles angereichert, was auch nicht unbedingt für eine große Zukunft der jüngsten Zukunft spricht. Schade, auch an das Boy Wonder aus Haywards Heath hätte man doch gerne so geglaubt, wie es sich für Wunder gehört: ganz oder gar nicht.

Bowie selbst hat die Gender- Bender-Phase längst abgehakt. Auf „Black Tie/White Noise“, der ersten „Solo“-LP seit dem mittleren Desaster mit Tin Machine, entwirft er sich als solides, wenngleich geschmackvolles Familienmodell, das gleich im ersten Stück, einem Instrumental (das später nochmals mit Text als „Wedding Song“ wiederkehrt), die unlängst erfolgte Heirat mit der schönen Iman preist. Da haben die anderen Super Models Grund, eifersüchtig zu sein.

So ein Mann hat natürlich nicht mehr den Blues und auch nicht den Glam, er versteht sich eher als Botschafter eines um Ethnospielarten angereicherten Funk-Fusion-Gedankens, der kleinliche Nationaleitelkeiten hinter sich läßt, schwarz schön findet, hier und da seine Freunde sitzen hat (zum Beispiel Nile Rodgers, Ex-Chic) und die entsprechend große Produktion braucht wie die Luft zum Atmen. Bowie goes to Hollywood: Futter für Ami-, Euro-, GUS- und Sonstwas-Diskotheken, in denen „Let's Dance“ immer noch zum eisernen Bestand gehört.

Symptomatisch dafür auch die Rückkehr des Saxophons (siehe auch Cover-Gestaltung), mit der Bowie obendrein den Anschluß an „Jazz“ als Spielfeld geschmackvoller Kulturwiederaufbereitung sucht. Nur nichts verkommen lassen. Wo dabei doch einmal melancholisch-haltlose Britizismen aufgegriffen werden, wie in der Rührstück-Version von Morrisseys „I know it's gonna happen someday“, geschieht das im Geist eben jenes geläuterten, internationales Format atmenden Dandytums: Bowie als Frank Sinatra der Post-Punkgeneration.

Gut, man will nicht meckern: Mit Sicherheit ist „Black Tie/ White Noise“ die beste Bowie- Platte seit Menschengedenken. Sie klingt zwar insgesamt wie ein verspätetes Talking-Heads-Album, begeht aber sonst keine größeren Verbrechen am Erbe der Generation, die Bowie noch als Starschnitt oder Jugendzimmer-Poster kennengelernt hat. Brett, war zu lesen, findet er gar nicht schlecht. Und wo Namensvetter Lester Bowie, wie in „You've Been Around“, „Jump They Say“, „Pallas Athene“ und einigen anderen Stücken, das Saxophon mit der Trompete stützt, ist so etwas wie Jazz zumindest zu ahnen. Da haben's die Engländer, zumal die weitgereisten, nämlich immer noch besser: Es klingt nicht gleich nach Klaus Doldinger, wenn ältere Herren mächtig ins Horn blasen.

Suede: „Suede“ (Nude/Sony)

David Bowie: „Black Tie/White Noise“ (Arista/BMG)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen