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Unterm Strich

„45 Meter Bücher“, Anfang der sechziger Jahre in Leipzig von der Staatssicherheit beschlagnahmt, sind nun unvermutet „wieder aufgetaucht“, wie der Betroffene selbst anläßlich der Vorstellung eines anderen Buchs, seines neuen Werks „Wendezeit“, in Frankfurt bekanntgab. Es handelt sich nämlich um die Privatbibliothek des Literaturwissenschaftlers und -professors Hans Mayer. Die soll auf dessen ausdrücklichen Wunsch jetzt dem Leipziger Literaturinstitut der Universität einverleibt werden. Mayer, von dem in diesem Hause (und wohl nicht nur in diesem) die Legende geht, er könne aus dem Stegreif komplizierte Sätze mit mehreren Hypotaxen bis zu doppelter Essaylänge druckreif in die Feder diktieren, gab sich wortkarg bis kryptisch hinsichtlich des eigentlichen Vorgangs der Wiederauffindung: „Ich stand plötzlich wieder vor meinen Büchern!“.

Anders als die raffinierten Berliner Karstadt-Erpresser, die die Polizei narrten, indem sie unbemerkt von unten durch die Kanalisation in einen als Übergabeort gedachten Streusandkasten einstiegen, setzten Kunstdiebe in Stockholm auf Trick 17: Sie ließen sich in einer Galerie einschließen, um nach erfolgtem Diebstahl des Gemäldes „Jawlenski und Werefkin“ von Gabriele Münter, die mal Mitglied des berühmten „Blauen Reiters“ war, durch den Keller zu fliehen. Geklappt hat's trotzdem, zumal die Wachmannschaft einem ausgelösten Alarm keine Beachtung schenkte. Von den Tätern, die alte Leier von Seiten der Polizei, „fehlt jede Spur“. Das Bild zeigt übrigens ein liegendes Paar auf einer Sommerwiese.

In aller Schärfe hat das westdeutsche PEN- Zentrum in Darmstadt Vorwürfe zurückgewiesen, hinter seiner Absage einer Teilnahme beim derzeit laufenden internationalen PEN-Treffen in Dubrovnik stünden „Sympathien für die serbische Kriegspolitik“. Bei den vor allem in der FAZ laut gewordenen Vorwürfen handle es

sich um eine „Verleumdung“. Der PEN-Club verteidigte seine Absage und legte Wert auf die Feststellung, daß das gastgebende kroatische PEN-Zentrum seine Vereinbarung, eine reine Arbeitskonferenz zu veranstalten, gebrochen habe. Statt dessen sei das gesamte Rahmenprogramm mit Empfängen, Festessen und Theaterbesuchen beibehalten worden, was angesichts des Krieges und der staatlichen Bevormundung der kroatischen Medien nicht akzeptabel gewesen sei.

Als erster Deutscher hat Stefan Heym den Literaturpreis der Stadt Jerusalem erhalten. Bürgermeister Teddy Kollek überreichte Heym die Auszeichnung am Mittwoch abend während der Internationalen Buchmesse in Jerusalem. Maßgeblich für die Entscheidung war nach Angaben der Jury Heyms literarisches und politisches Wirken zugunsten der Rechte des einzelnen in der Gesellschaft, Heym sei ein „Meister der Erzählung“, seine Werke „Manifeste der Freiheit“. Heym verband seine Dankesworte mit einer scharfen Kritik an der Ellenbogengesellschaft, die im vereinigten Deutschland um sich greife. Den Staat Israel rief er auf, Frieden mit den Arabern zu suchen und nicht gegen sie.

Stöhn: wieder fast nur Geburtstage, Ehrungen oder Horror im Kleinen. Auch Walter Schmidinger wird sechzig. Anfang Ticker-Text: „Er gilt als großer Komödiant mit tragischen Fähigkeiten. Gern spielt Walter Schmidinger die gebrochenen Seelen, die Narren und die Liebenden...“ Dann wieder Entwicklungsroman à gogo: „Schon früh fiel die Schauspielbegeisterung des 1933 im österreichischen Linz an der Donau geborenen Schmidinger auf, der in jungen Jahren in der Katholischen Jugend Theater spielte...“

Und weiter im Text: „Gut hundert Jahre nach ihren Londoner Gastspielerfolgen huldigt das Theater des Thüringer Provinzsstädtchens Meiningen erneut dem großen Elisabethaner“. Bei den Meininger Shakespeare-Tagen, die heute beginnen, wird es „den großen Elisabethaner“ fünfmal auf der Bühne, sieben Stunden lang auf Leinwand geben.

Noch ein kurzer Blick auf die deutsche Hitparade, nach Umsatzzahlen ermittelt von Media Control, Abdruck mit feundlicher Genehmigung des Bundesverbands der Phonographischen Wirtschaft: Auf Platz 1 liegen derzeit, na?, na?... ja, die Toten Hosen mit ihrem Anti-Ausländerhaß-Spätpunk-Epos „Sascha“, knapp gefolgt von „Für mich soll's rote Rosen regnen“ von Extrabreit (Kooperation mit der greisen Hilde Knef im Pop-Op-Lackledermantel).

Und was fehlte heute in den Kurzmeldungen? „,Urfaust‘ eröffnet Weimarer ,Faust‘-Inszenierungen bis 1999“, „Kunstobjekte im Park von Sanssouci bringen Zeit des Rokoko näher“, „,Ghetto Warschau‘ als packendes Bühnenereignis“, sowie „Argentiniens Teatro Colon startet beschwingt in die 85. Saison“ von dpa-Korrespondent Hasso Ramspeck.

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