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Renaissance der Fundis

Wenn die Religion zur politischen Ideologie wird / Fundamentalismus in den drei monotheistischen Weltreligionen Christentum, Islam und Judentum  ■ Ein Bericht von Franco Foraci und Illyas Mec

Krisensituation überall: in der Politik, in der Wirtschaft und in der Gesellschaft. Der moralische Wandel der Moderne ist heute ein Wandel in eine unbekannte, nicht vorgezeichnete Richtung. Diese Lücke versuchen immer mehr radikal-religiöse Vereinigungen und Instanzen zu füllen, die selbst in der christlichen Kirche eine Renaissance erleben. Allerdings eine Renaissance, die auf längst vergessen geglaubten Fundamenten beruht. Der religiöse Fundamentalismus hat mehr denn je Zulauf – auch in Europa.

Beeinflußt durch den Golfkrieg und den Mordaufruf gegen den britischen Schriftsteller Salman Rushdie, verbinden die meisten den Begriff des Fundamentalismus mit den radikalen islamischen Bewegungen im Nahen Osten und Nordafrika, die offen zum Djihad, dem „Heiligen „Krieg“ aufrufen. Die unvermeidlichen, von den Medien beförderten Assoziationen dazu sind: Entführungen von Menschen im Namen Allahs, islamische Selbstmordkommandos, Bürgerkriegsverhältnisse.

Wer sich aber die Mühe macht und einen Blick ins Lexikon wirft, der wird feststellen, daß der Begriff des Fundamentalismus ursprünglich aus einer christlichen Bewegung hervorging. Sie entstand Ende des 19. Jahrhunderts im amerikanischen Protestantismus und hatte die Abwehr liberalistischer und moderner Tendenzen zum Ziel. Der evangelische Fundamentalismus richtete sich gegen jegliche „Unmoral“ der Neuzeit und ging entschieden davon aus, „daß die Bibel Wort für Wort Gottes Verkündigung und aus diesem Grund irrtums- und widerspruchsfrei sei“. Konkreter: Kompromisse mit der zunehmend von wissenschaftlichen Erkenntnissen geprägten Wirklichkeit sollten verhindert werden. Vor allem die Darwinsche Evolutionslehre, die bewiesen hat, daß der Mensch nicht das erste Lebewesen auf Erden gewesen sein kann, stieß bei den ultrakonservativen Christen auf Empörung. Der Kulturanthropologe Werner Schiffauer beschreibt diese erste fundamentalistisch orientierte Bewegung der Christen als ein für damalige Zeiten „notwendiges (Mittel) zur Selbstbehauptung im Elend, zum Schutz gegen familiären Zerfall, gegen Alkohol und gegen das Verbrechen“.

Bis in unsere Zeiten gibt es im Christentum religiöse Gemeinschaften, hauptsächlich Freikirchen und Sekten, die die Bibel allzu wörtlich nehmen und sich vom modernen gesellschaftlichen und kulturellen Leben bewußt fernhalten. Die wohl bekannteste Gruppe sind die von der christlichen Kirche ausgestoßenen und zur Sekte erklärten „Zeugen Jehovas“. Wer ist ihnen nicht schon an S-Bahnstationen und auf Einkaufsstraßen begegnet, wie sie, von keinem Mißerfolg zu entmutigen, ihre Zeitschrift Der Wachturm an die einkaufswütig vorbeiziehenden Männer und Frauen zu bringen versuchen? Immerhin zählen sie in der BRD etwa 150.000 Anhänger. Menschen, die sich zu Enthaltsamkeit und eigenwilliger Bibeltreue verpflichtet fühlen. Vor allem im Osten Deutschlands treffen sie auf besonders „fruchtbaren“ Boden, so der Dresdener Pastor und Sektenbeauftragte der sächsischen Landeskirche, Ekkehard Zieglschmied.

Die urchristlichen Wurzeln vehement verteidigen wollen auch die in der Vereinigung Evangelischer Freikirchen zusammengeschlossenen Gemeinden. Auch sie wehren sich gegen aufklärerische Einflüsse auf ihren „fundamental“ gelebten Glauben. Methodisten, Alt-Katholiken, Lutherische Freikirche, Mitglieder der Mennonitengemeinden, aber auch Kreationisten und Evangelikale – sie alle sind die andere Seite derselben Medaille: des Christentums.

Der Grund, warum viele von ihnen in der deutschen Öffentlichkeit als „Fundamentalisten“ kaum auftreten, ist nach Auffassung von Dietrich Neuhaus, Studienleiter an der evangelischen Akademie Arnoldshain, die immer noch große Macht der beiden etablierten Kirchen, die „jede Gruppe, die sich von ihnen abspaltet, mit dem Stigma ,Sekte‘ versehen und gesellschaftlich ausmanövrieren können“.

Selbst innerhalb der hierarchischen Strukturen der katholischen Kirche ist Fundamentalismus kein Fremdwort. Seit Jahren sorgt der Fuldaer Bischof Johannes Dyba mit seinen erzkonservativ-polemischen Äußerungen für Schlagzeilen (siehe auch das Porträt). Strukturelle Unterschiede zwischen diesen extremen Standpunkten zu denen der islamischen Fundamentalisten, die ihr Leben genauso wörtlich nach dem Koran ausrichten, wie die christlichen Fundis nach der Bibel, sind nur schwer zu erkennen. Trotzdem würde kaum jemand auf die Idee kommen, Johannes Dyba einen katholischen Fundamentalisten zu nennen.

Mitten in Deutschland, von Hamburg bis München, operiert der katholische Geheimbund Opus Dei (Werk Gottes), infiltiert staatliche Institutionen und sorgt dafür, daß viele hohe Funktionen in wichtigen Betrieben und Ämtern mit strammen Katholiken besetzt werden. Opus Dei, die katholische Mafia, ist die logische Vollendung der mittelalterlichen Inquisition mit den Mitteln der modernen Kommunikationsgesellschaft: Ohne Scheiterhaufen und Hexenverbrennungen, aber mit viel Management-Know-how. Bonner Politiker, Richter (!) und Wirtschaftsführer sollen dieser Truppe angehören. Bloß niemand weiß genau, wer sich dahinter verbirgt und wie Opus Dei seinen stillen „Heiligen Krieg“ führt. Wie gesagt, mitten in Deutschland, nicht im Iran oder Libanon.

Die Trennung von Kirche und Staat abschaffen würden am liebsten die Geistlichen der Priesterbruderschaft St. Petrus in Wigratzbad bei Augsburg. Sie halten allein die religösen Gesetze für die wirklichen. Hätten sie etwas mehr zu sagen, würden sie rigorose Zensur üben. Jede nackte Schulter, jeder blanke Busen ist den bayrischen Priesterausbildern zuviel. Keine Fundamentalisten?

Ein Dorn im europäischen Auge sind jedoch die Reislamisierungsbestrebungen in islamischen Ländern, die mit der Migration auch in Deutschland ihren Niederschlag finden. So trifft der islamische Fundamentalismus, der eine radikale Hinwendung zum Islam fordert und die Religion zur Staatsform erklären will, in Deutschland auf viele Sympathisanten.

Nach dem Islamwissenschaftler Ahmad Taheri geht die Grundidee aller Islamisten, wie sie sich selbst nennen, davon aus, daß „... die politische und ökonomische Unterlegenheit gegenüber dem Westen ihre Ursache nicht etwa in den strukturellen Bedingungen, sondern in der Abkehr vom Islam (hat)“. Wenn das Abweichen vom „frommen Weg“ des Islam der Grund für den Niedergang der Menschen ist, dann, so Taheri, besteht in der Logik der Islamisten die Rettung in der strikten Einhaltung der Gebote des Koran der Sunna (Prophetentradition).

Zu den militantesten Verfechtern dieser Auffassung zählt die in Köln sitzende Gemeinschaft von Cemaleddin Kaplan. Der aus der Türkei stammende, 67jährige Hodscha hat im April 1992 im deutschen Exil sogar die „Islamische Föderation Anatolien“ ausgerufen. Sein Ziel: eine islamische Revolution in der Türkei nach iranischem Muster (siehe Interview).

Gemeinschaften wie die konservativ-nationalistisch orientierte Bewegung der Süleymanci oder die Vereinigung der nationalen Sicht in Europa (AMGT – Avrupa Milli Görüs Teskilatlari) als Auslandsorganisation der fundamentalistisch-islamischen „Wohlstandspartei“ in der Türkei sind weitere in Deutschland wirkende politisch-religiöse Organisationen. Sie alle verbindet die Ablehnung der westlichen Normen. Den christlichen Fundamentalisten nicht unähnlich, streben sie die Einheit von Religion und Politik, von Religion und Gesellschaft an. Ahmad Taheri: „Sie sind mit der Verheißung aufgetreten, mit dem ,gottlosen‘ Status quo aufzuräumen und eine islamische ,Civitas Dei‘ (Gottesgesellschaft) zu errichten, in der den Gläubigen nicht nur das Heil im Jenseits, sondern auch das Glück des Diesseits beschieden ist.“

Von antimodernistischen Strömungen bleibt schließlich auch die dritte der drei monotheistischen Weltreligionen nicht verschont, das Judentum. Allerdings wirken die jüdischen Fundamentalisten, insbesondere die sogenannten Emmunim, kaum außerhalb des gelobten Landes Israel. Die ultraorthodoxen „Zionisten“, die keine kleine Minderheit in Israel darstellen, setzen dem demokratischen Staat Israel schwer zu. Sie erklären die Religion zur Volks- statt zur Privatsache und verabscheuen jeden Kompromiß mit weltlichen Werten. Ihr religiöser Anspruch ist der einer totalitären, nach den Gesetzen der Thora lebenden Gesellschaft. Sie besetzen und besiedeln Gebiete und begründen die für den Weltfrieden schon mehrfach gefährlichen Aktionen mit den biblischen, im Alten Testament niedergelegten Landverheißungen. Der Palästina-Konflikt trägt zu einem großen Teil ihre Handschrift.

Montage: taz/Fotos: Güney Ulutunçok, Almut Wilms-Schröder, Wolfgang Borrs, Reuter

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