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„Ich befürchte Unruhen in der Stadt“

Mit „schlagenden“ Argumenten beschließt ein SPD-Oberbürgermeister den Asylbewerberstopp für seine Stadt / „Republikaner“ im Rat sind hocherfreut, doch das ficht das Stadtoberhaupt nicht an  ■ Aus Hagen Walter Jakobs

Das Amalie-Sieveking-Haus des evangelischen Kirchenkreises in Hagen-Wehringhausen erreicht man durch einen kleinen Vorgarten, in dem ein paar schwarzgelockte Kinder spielen. Ihre Eltern sind dem Terror in Bosnien entkommen oder vor den bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen in Georgien geflohen. Andere stammen aus Bulgarien. Im Haus Nummer 13, das früher eine Berufsfachschule der evangelischen Kirche beherbergte und von der Stadtverwaltung Anfang des Jahres angemietet wurde, ist am Mittwoch dieser Woche gerade eine neue vierköpfige Flüchtlingsfamilie eingetroffen. Sie hat Glück gehabt, denn noch gilt der am vergangenen Freitag vom Hagener OB Dietmar Thieser spektakulär angekündigte Aufnahmestopp für Asylbewerber nicht.

Weil die Aufnahmekapazität der Stadt „erschöpft“ sei, so das Argument des Hagener Oberbürgermeisters, werde er vorschlagen, „die Verwaltung zu beauftragen, dafür zu sorgen, daß die weitere Aufnahme von Asylbewerbern und Aussiedlern unterbleibt“. Und weiter: „Ob das rechtlich zulässig ist, soll uns vorerst egal sein. Unsere Aufnahmekapazität ist erschöpft.“ Turnhallen und andere öffentliche Gebäude der Stadt will er nicht in Beschlag nehmen. Denn „die Akzeptanz in der Bevölkerung ist nicht gegeben. Ich befürchte erhebliche Unruhen in der Stadt“.

Rostock-Lichtenhagen im westfälischen Hagen? In der Gutenbergstraße 13 ist wenige Stunden vor der extra anberaumten Hauptausschußsitzung des Stadtrates wenig von der Erschöpfung der Aufnahmekapazität zu spüren. Mit 33 Flüchtlingen ist das Gebäude nicht mal zu einem Drittel belegt. Insgesamt, so sagt der Sozialarbeiter Frank Hasenclever, können hier etwa 120 bis 130 Asylbewerber leben. Hasenclever, als Flüchtlingsberater beim Diakonischen Werk tätig, kennt die Flüchtlingsprobleme in der Stadt nur zu genau. Wohnraum für rund 250 neu ankommende AsylbewerberInnen ist seiner Meinung nach vorhanden. Das vom Oberbürgermeister beschworene Katastrophenszenario hat auch die Geschäftsführerin des Diakonischen Werks, Pfarrerin Barbara Eschen, „total überrascht“. Warum, so fragen sich die DiakoniemitarbeiterInnen, hat der OB die evangelische Kirche, die in ihren Gemeindehäusern schon bei früheren Engpaßsituationen bis zu 90 Flüchtlinge vorübergehend unterbringen konnte, diesmal nicht um Hilfe gebeten.

Nun, Dietmar Thieser hatte Größeres im Sinn. Mit seinem Vorstoß, den er mit dem Hagener SPD-Fraktionschef Horst Tillmann im Detail abgestimmt hatte, wollte er „ein Signal an Düsseldorf und Bonn“ senden, den Asylkompromiß „endlich umzusetzen“. Thieser wörtlich: „Wir können dieses ewige Gequatsche und Nichtstun von Bund und Ländern nicht mehr ertragen, wir müssen uns wehren.“ Den aktuellen Handlungsbedarf untermauerte der OB Mitte April mit drastischen Zahlen. Allein bis Mitte des Jahres müsse die Stadt 1.069 zusätzliche Asylbewerber unterbringen. Darüber hinaus würden bis zum Herbst 1.140 Aussiedler in der 212.000 Einwohner zählenden Stadt erwartet. An Unterbringungsmöglichkeiten stünden dem jeweils 100 Plätze für Asylbewerber und für Aussiedler gegenüber.

Richtig ist, daß die Stadt Hagen die nach einem Schlüssel berechnete Aufnahmequote nur zu 84 Prozent erfüllt hat. Nach Auskunft des Düsseldorfer Arbeitsministeriums lag das „Aufnahmesoll“ der Stadt im April dieses Jahres aber nur bei rund 700 Asylbewerbern. Thieser hat also mit seinem öffentlichen Vorstoß die Aufnahmepflicht um etwa 370 Personen nach oben überzeichnet – er will die Zahl einer Modellrechnung des Regierungspräsidenten entnommen haben – und gleichzeitig die freien Kapazitäten heruntergespielt. Wie viele AussiedlerInnen in diesem Jahr nach Hagen kommen, steht ebenfalls in den Sternen. In den letzten Monaten schwankte die Zahl zwischen 20 und 30 Personen, wie Oberstadtdirektor Freudenberg während der Hauptausschußsitzung einräumte.

Eine Stadt, die ihre Tore für weitere Flüchtlinge dichtmacht, egal ob legal oder illegal. Die Botschaft des Bürgermeisters kam an. Er „freue“ sich, daß der Bürgermeister nun endlich das ausgesprochen habe, „was wir schon vor zwei Jahren gefordert haben“, sagt Wolfgang Schulz während der relevanten Hauptausschußsitzung. Die sozialdemokratischen Ratsvertreter registrieren das Lob mit versteinerten Mienen. Schulz, Fraktionsgeschäftsführer der seit der letzten Kommunalwahl im Hagener Rat vertretenen „Republikaner“, grinst dagegen zufrieden.

Oberbürgermeister Thieser lassen die lobenden Worte des Rechtsradikalen scheinbar kalt. Schon im Vorfeld hatte er „den Beifall von der falschen Seite“ als das hinnehmbare kleinere Übel bezeichnet. Wer „die Probleme verschweigt oder tabuisiert, fördert den Rechtsradikalismus“. Thieser, Anfang vierzig, ein Mann, der für die von Skandalen aller Art gebeutelte Hagener SPD nach dem erzwungenen Rücktritt seiner Vorgängerin Renate Löchter so etwas wie den letzten Rettungsanker darstellte, wird auch jetzt von der großen Mehrheit seiner Partei getragen. Bernd König, Juso-Chef in Hagen, erklärt zwar, daß „wir die Angriffe des Oberbürgermeisters auf die Asylbewerber nicht hinnehmen werden“, aber greifbare Folgen wird diese Kritik kaum haben.

Im Hauptausschuß sind sich die Ratsvertreter aller Parteien einig – bis auf die Grünen, die dagegenhalten. Per Beschluß wird die Verwaltung aufgefordert, sich „unter voller Ausschöpfung der rechtlichen Möglichkeiten, darum zu bemühen, daß eine weitere Zuweisung nicht erfolgt“. Mit dieser Formulierung, die juristisch unanfechtbar ist, aber am Ziel des Aufnahemstopps festhält, identifiziert sich auch die Hagener SPD. Nur der öffentliche Hinweis auf den Alkoholkonsum in Asylbewerberunterkünften, mit dem Thieser sein „Signal“ garniert hatte, stieß einigen Genossen sauer auf.

Als der Oberbürgermeister seinen „Hilfeschrei“ Richtung Bonn damit begründet, „daß die Akzeptanz für Asylbewerber in den vergangenen Jahren zunehmend kleiner geworden sei“, hagelt es Zwischenrufe von der Tribüne. „Aufstachelung zum Rassenhaß“ wird dem Oberbürgermeister unterstellt. Unter den ZuhörerInnen gab es eine lautstarke Mehrheit gegen das Stadtoberhaupt. Ungewöhnlich scharf meldet sich der von Sozialdemokraten beherrschte DGB-Kreisvorstand zu Wort und bezeichnet den Vorstoß des Bürgermeisters als „verantwortungslos“. Und weiter: „Parolen rechtsextremer Parteien und Personen werden nicht dadurch richtig, wenn sie von einem sozialdemokratischen Oberbürgermeister wiederholt werden.“ Und das Diakonische Werk geht davon aus, die Ankündigung des Aufnahmestopps bestärke ausländerfeindliche Organisationen in ihrem aggressiven Verhalten. Allein die grüne Ratsfrau Hildegund Kingreen geht auf diesen Zusammenhang ein. Thieser, dessen Rücktritt die Grünen fordern, habe ohne jede aktuelle Notlage das Thema hochgekocht und „so einen ungeheuren Schaden produziert“. Schon wenige Tage nach dem spektakulären Auftritt des OB waren im Hagener Stadtteil Henkhausen anonyme Flugblätter aufgetaucht. Darin werden die Bürger aufgefordert, sich gegen Asylbewerber zu „organisieren“. Das Hetzblatt zeigt Hagener Asylbewerber auf Fotos, und in der zum Teil aus Zeitungsausschnitten zusammengestoppelten Überschrift heißt es wörtlich: „Asylanten in Hagen – Achtung! Schuß- und Stichwaffengebrauch“.

Ein paar Straßenzüge vom Hagener Rathaus entfernt liegt die evangelische Johanniskirche. Vom mächtigen Kirchengebäude springt dem Besucher ein riesiges Transparent ins Auge. „Gott hat die Fremden lieb, darum sollt auch ihr sie lieben. 5. Moses 10“. Diese Mahnung, im vergangenen Jahr als Reaktion auf den bundesweiten Terror gegen Ausländer angebracht, prangt auch auf dem Brief des Diakonischen Werks an Thieser, der für seine Stadt „Unruhen“ im Fall weiterer Asylbewerber befürchtet. „Unruhen?“ Frank Lehmann, Pfarrer der Johannisgemeinde, glaubt nicht, daß sich die Stimmungslage in Hagen von der in anderen deutschen Großstädten unterscheidet. Bei der Plakataktion hatte er zunächst „das Gefühl, daß die Leute darauf gewartet haben“. Es gab auch zahlreichen Zuspruch, aber inzwischen weiß der junge Pfarrer, „daß auch Christen, die innerhalb der Gemeinde ihren Glauben sehr ernst nehmen, dem Engagement für Fremde oft ablehnend gegenüberstehen. Sie sagen, wir haben doch selbst genug Probleme“.

Viele Gemeindemitglieder, so ergänzt Pfarrerin Barbara Eschen, „haben selbst das Gefühl, im Leben zu kurz gekommen zu sein“. Der Kirche bleibe nur, „immer wieder dafür zu werben, daß sich die Menschen nicht verschließen“. In einer solchen Situation, so sagt die Geschäftsführerin des Diakonischen Werks mit Blick auf den OB, „ist das Schlimmste, was uns passieren kann, wenn öffentliche Leitbilder die bei vielen vorhandenen Ängste und Vorurteile durch unbedachte Äußerungen fördern“. Die Folgen bekommt auch Pfarrerin Eschen zu spüren. Während sie in ihrem Büro erzählt, kommt schon der erste Anruf. Wie könne die Diakonie dem Oberbürgermeister nur so in den Rücken fallen, „wo wir doch selbst so viele Obdachlose haben“. Da geht dann schnell unter, daß das Diakonische Werk sich seit Jahren um Obdachlose kümmert, zum Beispiel mit einem Beratungsbüro. In der Vergangenheit haben sich die Mitarbeiter in der Stadt die Hacken abgelaufen, um neue Initiativen im sozialen Wohnungsbau auf den Weg zu bringen. Nach öffentlichen Attacken wie derjenigen des Oberbürgermeisters Thieser wird die Schuld für die soziale Misere regelmäßig neu verteilt. Der Fremde als Sündenbock, dieses Muster hat dann nicht nur bei eingefleischten Rechtsradikalen Konjunktur.

Den jüngsten Vorstoß des Oberbürgermeisters kann Pfarrerin Eschen sich nicht erklären. „Diese Kehrtwendung ist mir unverständlich. Ich hatte ein anderes Bild von ihm.“ Nicht nur sie. Als vor dem Hagener Rathaus Ende 1991 gegen einen bis heute nicht aufgeklärten Mordanschlag gegen einen iranischen Flüchtlingsberater des Diakonischen Werks demonstriert wurde, sagte der Hauptredner Dietmar Thieser dies: „Ausländer sind Gäste in unserer Stadt. Wer gegen sie vorgeht, hat hier nichts zu suchen.“

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