: Von Tamilen beim Forschen gehindert
■ Marburger Professor wütet gegen Flüchtlingsunterkunft neben seinem Eigenheim / Ausländerfeind ist NS-Forscher
Marburg (taz) – „Wie soll ich als Hochschullehrer unter Tamilen, Pakistani, Kurden, Sinti, Moldawiern, Albanern etc. etc. leben, arbeiten und forschen?“ Diese Frage stellte der Marburger Hochschullehrer Stephan Buchholz nicht nur sich selbst, sondern schriftlich auch gleich einem Landrat und einem Bürgermeister. In Briefen beschwerte sich der Professor darüber, daß neben seinem Grundstück in Weimar-Roth bei Marburg ein Asylbewerberheim für 40 Personen entstehen soll. Landrat Kliem konnte kaum glauben was er las, wandte sich umgehend an das Wissenschaftsministerium und an den Präsidenten der Marburger Uni. Das Schreiben Bucholz' zeige, „daß selbst die Intelligenz nicht davor zurückscheut, den plakativen Aussagen der Rechtsparteien intellektuell zu folgen“.
Nachdem der Präsident der Phillips-Universität, Professor Dietrich Simon, zunächst versuchte, den entgleisten Professor in Schutz zu nehmen, distanzierte er sich wenige Tage später öffentlich von dem Schreiben des Wissenschaftlers. Die Rechstabteilung der Hochschule wurde beauftragt zu prüfen, welche diziplinarischen Schritte gegen Buchholz zu unternehmen sind.
Buchholz ist Dekan des Fachbereichs Rechtswissenschaften und lehrt Rechtsgeschichte mit Schwerpunkt NS-Recht und Judenverfolgung. Am Fachbereich gilt er weder als reaktionär noch als fremdenfeindlich. Allerdings hatte er kürzlich erklärt, er habe sich bei den letzten Wahlen nicht dazu durchringen können, einer demokratischen Partei seine Stimme zu geben, und sich daher enthalten.
Buchholz gilt als freundlich, nur gegenüber seinen zukünftigen Nachbarn ist er es offenbar nicht. Erst nachdem er das Grundstück für das traute neue Heim gekauft hatte, sei ihm die Hiobsbotschaft zu Ohren gekommen, schrieb er. In dem Brief an Kliem, der zudem auch noch den Briefkopf der Marburger Phillips-Universität trägt, heißt es, daß er sich nicht über das „Modethema“ Ausländerfeindlichkeit/Ausländerfreundlichkeit auslassen wolle. Außerdem empfinde er „Gemeinschaftsaktionen wie Lichterketten als eine Gemeinschaftsheuchelei“. Sein Hauptproblem liege woanders: „Kollektivlasten wie das Asylantenproblem können auch nur kollektiv getragen werden.“
Buchholz schlug vor, Asylbewerber in öffentlichen Einrichtungen oder „besonderen Einrichtungen“ unterzubringen. Mit anderen Worten: Asylanten ins Ghetto, da können sie niemanden belästigen. Der Professor meint zu wissen, daß bestimmte Volksgruppen, insbesondere die mit südländischem Temperament, den ganzen Tag und auch noch die Nacht hindurch krachend laute Musik hören. Wie könnte er denn bei 24 Stunden Baßgewummere auch noch anständig forschen? Auch wie Asylbewerber ihren Lebensunterhalt bestreiten, hat der Professor herausgefunden: „Die leben doch von der Kleinkriminalität“, sagte er in einem Gespräch mit der Oberhessischen Presse, einer Marburger Lokalzeitung.
Nachdem Buchholz' Beschwerden öffentlich wurden, ging er nicht etwa in die Defensive, sondern zum Angriff über. Er bezeichnete Landrat Kliem als „grobschlächtigen Provinzmachiavellisten“ und fragte diesen, ob er vielleicht mit ihm tauschen wolle. Daß weder der Landrat, noch der Bürgermeister, sondern das Land Hessen die Entscheidungsbefugnis zu dem Bau des Asylbewerberheims hat, verlor er dabei gänzlich aus den Augen. – In einer Erklärung vom 19.April behauptete Buchholz dann, daß der Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit nicht auf ihn zutreffe. Stattdessen sei er fassungslos „über den finanziellen Ruin“, den er durch den Wertverlust seines Grundstücks erleiden würde und „daß wir als Bürgerinnen und Bürger nirgendwo Gehör finden.“
Nur wenige hielten zu ihm. Seine Frau verteidigte ihn gegenüber der taz: „So war das doch alles nicht gemeint. Das sollte doch nur provozierend sein.“ Jörg Welke
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