■ Ökolumne
: Ideolgische Kerne Von Niklaus Hablützel

Der letzte Sommer war heiß gewesen. Trotzdem starben in der Unterelbe weniger Fische als sonst zu dieser Zeit. Das Sauerstoffloch, das ihnen regelmäßig den Garaus gemacht hatte, war diesmal kleiner ausgefallen. Keine Umweltpolitik, eine Wirtschaftskrise war schuld daran – ein paar Fische überlebten, weil ganze Industriekomplexe Ostdeutschlands dahinstarben.

Menschen übrigens starben nicht daran, sie verloren nur ihren Arbeitsplatz. Auch der Fluß ist deswegen noch lange nicht zum Paradies geworden. Schwer zu sagen, was die wahrscheinlich dreckigste Kloake Europas auch nach dem Zusammenbruch des Sozialismus mit sich führt. Die Daten sind unvollständig, zuverlässige Meßmethoden teils umstritten, teils schwierig anzuwenden. Machen wir uns nichts vor: Wir wissen nicht im geringsten, wie es um dieses Ökosystem bestellt ist. Die Uferwiesen sind lieblich, auch wenn das Wasser seltsam riecht. Der Gedanke immerhin liegt nahe, daß sich nun alles zum Besseren wenden könnte. Denn der Kamin raucht ja nicht mehr, der sprichwörtliche, an dessen Qualm wahlweise der Aufbau des Sozialismus oder das Wachstum des Bruttosozialprodukts abzulesen schien. Ein Aberglaube, wie sich nun zeigt, ziemlich gut nachweisbar ist lediglich, daß der größte Teil der Wasserverschmutzung aus der Luft stammt. So ließ das Ende der DDR zunächst die begründete Hoffnung auf ökologische Reformen zu. Sie hat sich zerschlagen. Nicht von lebenden Fischen ist mehr die Rede, selbst der Gedanke daran steht unter moralischem Verdacht. Denn ein neuer gesellschaftlicher Konsens fordert, daß nicht die Gewässer zuerst gerettet werden dürfen, sondern das, was „industrielle Kerne“ der ehemaligen DDR heißt. Festzustellen ist eine kollektive Regression in die Vorstellungswelt industrieller Produktivkräfte, die mit dem politischen Ende des Sozialismus überwunden schien. Aber ihre Symbolkraft hat die Realität überdauert. Die staatssozialistischen Kombinate sind überaltert, ihre Produkte überflüssig oder im Westen rationeller herzustellen. Trotzdem fordern nur noch sehr mutige Marktwirtschaftler, solche Altlasten aufzugeben, Leute mit entwickeltem sozialem Gewissen (und wer gehörte nicht dazu?), fühlen sich verpflichtet, mindestens ein ernstes Gesicht zu machen und an Tausende von Arbeitsplätzen zu denken.

Aber die sind verloren, niemand kann versprechen, daß sie mit ihren alten Qualifikationsmerkmalen wieder eingerichtet werden. Nur die Mythen wirken weiter. Großindustrien sind offenbar noch immer Kernbereiche eines nationalen Selbstbewußtseins, das die alten Systemgrenzen übergreift. Die Kamine rauchen, aber der Verlust an politischer Phantasie ist dramatisch. Denn ein ganz anderes Bewußtsein systemübergreifender Probleme war im Osten wie im Westen bereits herangewachsen. Unbestreitbar war geworden, daß für Sauerstofflöcher und schwer identifizierbare Chemikalien in den Flüssen östliche Planziffern und westliche Profitraten gleichermaßen verantwortlich sind; und unter dem Stichwort „Industriesystem“ gelang es immer besser, Alternativen zu formulieren, die über die zunehmend bloß noch ideologische Unterscheidung von Sozialismus und Kapitalismus hinauswiesen.

Fast nichts mehr ist davon geblieben. Zweifellos liegt noch kein Programm für die ökologische Entindustrialisierung des Ostens vor. Aber es fehlt unter anderem deswegen, weil inzwischen wieder Tabus die Analyse von Problemen ersetzen. Gewiß würde eine ganze Generation von Industriearbeitern und -arbeiterinnen dauerhaft arbeitslos. Neue, ökologisch weitsichtige Wirtschaftszweige außerhalb der Großindustrie entstehen nicht von einem Tag auf den anderen. Unvermeidlich sind dennoch, so unvermeidlich wie die Steuergeschenke, die den Ostdeutschen den Lebensunterhalt in den Jahren das Ausstiegs sichern. So aber wäre das Geld besser angelegt als jetzt. Der Wiederaufbau überflüssiger Fabriken senkt bereits den Lebensstandard der Westdeutschen, die Konkurrenz der Standorte wird soziale Konflike verschärfen, zugleich werden die Märkte für die zusätzlichen Produkte immer enger: Marktwirtschaftler und Ökologen sollten sich gegen dieses Katastrophen-Szenario verbünden. Mag sein, daß ein paar hochsubventionierte High-Tech- Kombinate ein bißchen weniger Dreck in die Elbe schwemmen. Gar keine wären besser. Dann darf der Sommer auch für die Fische wieder heiß werden.