piwik no script img

■ Im Kino 46"Weiningers Nacht"

Im Kino 46

„Weiningers Nacht“

Der junge jüdische Philosph Otto Weininger hatte ein großartig überdrehtes, aufsehenerregendes Buch (“Geschlecht und Charakter“) geschrieben, mit dem er Sigmund Freud Konkurrenz machen wollte. Kurz darauf dringt er in das Wiener Sterbezimmer Beethovens ein, schließt die überrumpelte Hauswirtin aus und nach einer verzweifelt durchwachten Nacht schießt er sich eine Kugel durch den Kopf. Das war 1903, Otto Weininger hatte gerade 23 Jahre gelebt.

„Weiningers Nacht“, ein Film des ausgezeichneten österreichischen Schauspielers und Regisseurs Paulus Manker, nimmt sich des verrückten Gedanken- und Erinnerungsstromes dieser letzten Nacht von Otto Weininger an. Er tut das in erstaunlich klaren Bildern, die an die Theaterstück-Vorlage von Joshua Sobol (Ghetto) anschließen, und er tut das mit einem so selbstverständlichen Respekt vor den auftretenden Personen, daß ihm etwas Seltenes gelingt: im Unglücklichen, Verlorenen, Häßlichen und Abseitigen ohne Voyeurismus das Geschwisterliche zu zeigen.

Otto Weininger nämlich ist keiner, mit dem man sich heute ohne Umstände identifizieren kann. Ein verzweifelter Frauen- und selbstquälerischer Judenhasser, der mit kindischem Trotz die so benötigte Liebe eines Freundes, einer Freundin zurückweist, dessen literarischer Größenwahn nur die Kehrseite größter Selbstzweifel ist, der bei allem Wetteifern mit Sigmund Freud nicht die geringste Ahnung über die psychologischen Ursachen seiner Verzweiflung hat.

Im Film durchjagt er noch einmal die Stationen seines gehetzten Lebens, mit einer Mutter, die ihn nicht aus der Kindheit entläßt, mit einem Vater, der sich Wagner- süchtig bis zur Selbstverleugnung zu integrieren versucht und nicht zuletzt mit einem weiblichen, schnurrbärtigen Doppelgänger, der ihm zynisch hilft, seine Homosexualität zu verdrängen. Nah geht die Kamera an die Fratzen von Paulus Mankers weichen, sensiblen Weininger-Gesicht, in dem sich die traurigen Augen immer wieder angestrengt zusammenziehen, als könnte er dadurch den Wahnsinn bannen. Weininger kann es nicht, wohl aber Manker, der sich diesem Wahnsinn als Schauspieler und Regisseur so gekonnt und kontrolliert überläßt, daß auch wir ihm folgen können.

Schon das Theaterstück, 1988 am Wiener Volkstheater mit Manker uraufgeführt, hatte größten Erfolg. Der Film „Weiningers Nacht“ sorgte 1990 bei den Internationalen Filmfestspielen in Berlin für Aufsehen und wurde 1991 als österreichischer Beitrag zum Euro-Oscar „Felix“ nominiert. Anläßlich der Wiederaufnahme von Joshua Sobols „Ghetto“ am Bremer Goethetheater zeigt das Kino 46 „Weiningers Nacht“ heute um 18.30 und Do. /Fr. um 20.30

CoK

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen