: Nicht ins KZ, sondern in den Widerstand
Im Rahmen der Ausstellung „Juden im Widerstand“ berichteten zum ersten Mal Mitglieder der Jugendorganisation Chug Chaluzi über ihr Überleben / Der Abend endete im Mißklang ■ Von Anita Kugler
Freundes- und Familientreffen von Juden, die den Krieg in Europa überstanden haben, enden oft in Traurigkeit. Der Kreis ist so klein. Es gibt kaum Cousins, selten Geschwister, nur lauter letzte Überlebende, jeder mit einer eigenen Geschichte, jede unvergleichlich, auch wenn die Leidensstationen die gleichen Namen tragen. Und deshalb war es für zahlreiche Besucher am Freitag abend im Literaturcafé des Wintergartens ein großes Geschenk, daß sie Zeugen einer einzigartigen Begegnung werden durften.
Fast der gesamte innere Kreis sowie zahlreiche „arische“ HelferInnen der 1943 von Jizchak Schwersenz gegründeten illegalen Jugendorganisation Chug Chaluzi waren nach Berlin gekommen, um zum allerersten Mal gemeinsam über ihren Existenzkampf mitten in Berlin zu berichten. Dazu noch Nathan Schwalb-Dror, Leiter der zionistischen Weltzentrale Hechaluz, der die Gruppe ab 1944 von Genf aus mit Geld versorgte. „Unser Ziel war, nicht einfach nur zu überleben, sondern uns für ein neues Leben in Palästina aufzubewahren“, sagte Gad Beck, der nach Schwersenz' Flucht in die Schweiz die Jugendgruppe führte.
Im Chug Chaluzi (Pionierkreis) fanden sich etwa zwanzig Jugendliche zwischen 14 und 20 Jahren, zum engeren Kreis gehörten vielleicht zehn. Sie alle hatten den Deportationsbefehl mißachtet oder waren nach der „Fabrikaktion“ aus dem Sammellager in der Großen Hamburger Straße geflohen und untergetaucht. Ihre Eltern, Verwandte, Freunde befanden sich in Auschwitz oder anderen Vernichtungslagern. Offiziell war Berlin „judenrein“.
Die Entscheidung, die Angehörigen „im Stich zu lassen“ und illegal zu leben, war „furchtbar schwer“, berichtete Jizchak Schwersenz, vor dem Krieg Lehrer einer jüdischen Auswanderungsschule in Berlin. Ohne Edith Wolff, die als „jüdischer Mischling“ noch nicht unmittelbar von der Deportation betroffen war und das Motto ausgab, „nicht mitgehen, sondern weggehen“, hätte er den Mut zum Untertauchen nicht gefunden. „Ich war so preußisch“, sagte er, „ich wäre mitgegangen und zu Asche geworden.“
Schwersenz war erfahrener Pfadfinder und nutzte dieses Wissen. Unter seiner Leitung trafen sich die Jugendlichen täglich, obwohl sie getrennt übernachteten und ihre Quartiere ständig wechselten. Sie lernten gemeinsam Hebräisch und Englisch und organisierten für sich und andere gefälschte Papiere und Arbeitsstellen. Die Untergetauchten mußten Razzien und die Denunziationen der „bösen Juden“ (Gad Beck) fürchten, die durch Kollaboration mit der Gestapo versuchten, ihre eigene Haut zu retten. Ohne die Unterstützung nichtjüdischer HelferInnen, die Quartiere oder Lebensmittelkarten bereitstellten, wären sie gescheitert. Elli Peipe ist so eine dieser „unbesungenen Heldinnen“, deren Geschichte nie aufgeschrieben wurde. „Ohne nachzudenken“, gab sie ihre Wohnung im Wedding Gad Beck und zog mit Kind zu den Eltern. Die Nazis bestraften sie später dafür mit dem Konzentrationslager. Daß nicht nur er, sondern zeitweilig sogar sieben weitere Chawerim (Kameraden) dort hausten, hörte sie nun zum ersten Mal. Man hätte noch sehr viel mehr Neues an diesem Abend hören können, wenn die Veranstalter nicht Nathan Schwalb-Dror miteingeladen hätten. Für die Chug-Chaluzi-Aktivisten in Berlin war dieser Mann und seine über ganz Europa verzweigte Organisation lebenswichtig. „Durch diesen Kontakt hatten wir das Gefühl, die ganze jüdische Welt steht hinter uns“, sagte Gad Beck, „das gab uns Mut und Selbstvertrauen.“ Umgekehrt aber war für Nathan Schwalb-Dror die Betreuung des kleinen Häufleins in Berlin nur eine Gruppe unter vielen. Weitaus gefährlicher und in ganz anderen Größenordnungen half die Hechaluz Zehntausenden von Juden in der Slowakei, Kroatien und Ungarn. Und halsstarrig, wie alte Männer oft sind – Nathan Schwalb-Dror ist 85 –, ließ er sich von seinem vorbereiteten Bericht über diese Rettungsaktionen nicht abbringen. Auch dann nicht, als Gäste aus Israel, die hier im Rahmen des Senats-Besuchsprogramms weilen, lautstark gegen seinen „zionistischen Bericht“ protestierten, weil sie Aufschluß über die bis heute nicht ganz geklärte Verhaftung von Gad Beck und anderen Mitgliedern von Chug Chaluzi im Februar 1945 forderten. Vergeblich. Christine Zach, Organisatorin und Moderatorin des Abends, blieb schließlich nichts anderes übrig, als die öffentliche Veranstaltung abzubrechen, damit der Streit nicht coram publicum zum Skandal wird. Und so bleibt nichts anderes übrig, als auf das schon vor Wochen versprochene, aber immer noch nicht erschienene Buch „Und wir müssen trotzdem weitermachen“ zu warten. Wie zu erfahren war, scheiterte eine Publikation bislang am Veto von Nathan Schwalb-Dror.
Von Jizchak Schwersenz erschien 1988 im Wichern Verlag die Autobiographie „Die versteckte Gruppe“. Die Ausstellung „Juden im Widerstand“ ist noch bis zum 31.Mai in der Rosenthaler Straße 38 zu sehen. Am 13.5. findet eine Veranstaltung mit Inge Deutschkrohn über die „Blindenwerkstatt in den Hackeschen Höfen“ statt.
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