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Nachdenken über Bosnien

■ Während US-Präsident Bill Clinton eine "härtere Politik" ankündigt und auch Rußlands Boris Jelzin zu harten Worten greift, gleicht die UN-Schutzzone Srebrenica einem "Gefängnis unter freiem Himmel"

Belgrad (AFP/taz) – Die US- Regierung denkt nach, die EG- Außenminister dachten nach, die russische Regierung wird nachdenken. Objekt dieser kollektiven Anstrengung ist einmal mehr der Krieg in Bosnien: Bereits wenige Stunden nach Inkrafttreten der neuen Sanktionen gegen Rest-Jugoslawien zeichnet sich immer deutlicher ab, daß diese Maßnahmen durch ein stärkeres „militärisches Engagement“ ergänzt werden werden.

Kaum überraschen kann jedoch, daß trotz der unzähligen Erwägungen bisher unklar ist, wie das erweiterte Engament aussehen könnte. An erster Stelle steht in den USA zur Zeit die Errichtung von weiteren UN-Schutzzonen. Geschützt werden sollten Städte wie Srebrenica, Goražde oder Zepa demnach sowohl von der US- Luftwaffe wie auch von Bodentruppen. Diese, so Washington einstimmig, müßten jedoch aus Europa kommen.

Einen ersten Eindruck vom Leben in Srebrenica konnte sich eine internationale Delegation in den vergangenen Tagen verschaffen: Entsetzt bezeichnete der venezulanische UN-Botschafter Diego Arria die sogenannte „sichere Zone“ als ein „Gefängnis unter freiem Himmel“. Auch nach dem Waffenstillstandsabkommen, das Vertreter der Serben und Mulsime vor zehn Tagen geschlossen hatten, hätten sich die serbischen Truppen nicht zurückgezogen.

Statt dessen schloßen sie den Belagerungsring um die seit einem Jahr umkämpfte Stadt immer enger. Ein Funk-Amateur: „Die 30.000 Bewohner und Flüchtlinge sehen immer mindestens einen serbischen Panzer, dessen Kanone auf sie gerichtet ist.“ Da außerhalb dieses Belagerungsrings auch das Wasserwerk der Stadt liegt, stehen pro Person am Tag nur 1,5 Liter Wasser zur Verfügung. Ärzte berichten von Hautkrankheiten und bezeichneten Srebrenica als „sanitäre Bombe“.

Wie die UNO ihr Ziel, Srebrenica bei einem erneuten Angriff der Serben zu schützen, erfüllen kann, ist völlig unklar. Bisher befinden sich lediglich 145 kanadische UN-Soldaten in der Stadt; da die Serben die Verbindungswege blockieren, sind sie von jedem Nachschub abgeschnitten. Zwei weitere UN-Einheiten versuchen jeden Tag, von Tuzla nach Srebrenica zu gelangen, jeden Tag werden sie von den serbischen Truppen zurückgewiesen. Ohne militärischen Schutz müssen so auch die Konvois, die Hilfsgüter in die Stadt bringen, auskommen.

Als weitere Varianten der von US-Präsident Clinton angekündigten „härteren Politik“ werden in Washington die Aufhebung des Waffenembargos gegen Bosnien sowie Luftangriffe auf serbische Stellungen diskutiert. Doch während Vizepräsident Gore und UN- Botschafterin Albright zu den Befürwortern auch „unilateraler Maßnahmen“ gehören, warnen Außenminister Christopher und Generalstabschef Powell davor, daß die USA in einen „tödlichen Krieg“ hineingezogen werden könnten.

Die EG-Außenminister waren am Wochenende zu Beratungen über den Krieg in Bosnien zusammengekommen. Für die Aufhebung des UNO-Waffenembargos gegen Bosnien machte sich dabei nur Klaus Kinkel stark. Als politisch und militärisch „unpraktikabel“ wurde auch aber auch die „Option zwei“, die Entsendung von Bodentruppen, abgelehnt. Übrig blieben somit auch hier die Möglichkeit von Luftangriffen auf serbische Stellungen sowie die Errichtung von Schutzzonen. Doch während die Akzeptanz für die erste Variante inzwischen auch bei den Staaten wächst, die sie aus Furcht um ihre in Bosnien stationierten Blauhelme bisher ablehnten, konnten sich die Außenminister eine Schutzzone ohne amerikanische Bodentruppen nur schwer vorstellen. Der beabsichtigte Druck auf die Serben war so nur verbal. EG-Kommissar Delors: „Solange die schuldige Seite nicht überzeugt ist, daß die internationale Gemeinschaft sie stoppen wird, solange wird sie fortfahren.“

Mit ungewöhnlichen harten Worten, aber ohne allzu konkrete Handlungsanweisungen sprach sich am Dienstag auch der russische Präsident Boris Jelzin am Dienstag „für entschiedene Maßnahmen gegen Jugoslawien“ aus. Rußland werde jene, die einer friedlichen Lösung im Wege stünden, nicht unterstützen, es stehe auf der Seite der anderen ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrates und der EG. Als einen Schritt auf diesem Weg forderte Jelzin Verhandlungen der Kriegsparteien im Beisein der Außenminister der Mitglieder des Sicherheitsrates.

In diesen Tagen ist man aber auch damit beschäftigt, die Ergebnisse des allgemeinen Nachdenkens miteinander zu Koordinieren. Dabei geht es vor allem um das „Ziel einer militärischen Intervention“, ihre rechtliche Grundlage und die Dauer.

Geklärt werden müssen außerdem die Unstimmigkeiten über die Frage, ob für neue militärische Maßnahmen die UN-Resolution 770 – mit der die Durchsetzung des Flugverbots beschlossen wurde – ausreicht. Während Frankreich dies für notwendig hält, sehen die USA Luftangriffe auf serbische Stellungen bereits als „gedeckt“ an. Wie lange es dauern werde, bis aus den Koordinierungsgesprächen Schlußfolgerungen gezogen würden – das will bisher niemand sagen. her

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