: Berghofer: Wir hatten keine Wahl
■ Modrow-Prozeß: Ex-OB hatte keine direkte Weisung zur Wahlmanipulation / Schorlemmer: Prozeß ist beschämend
Dresden (AP) – Der frühere Dresdner Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer weiß nach eigenen Angaben nichts von einer direkten Weisung des PDS-Ehrenvorsitzenden Hans Modrow zur Fälschung der Kommunalwahlergebnisse im Mai 1989. Er sei sich im Frühjahr 1989 mit Modrow, damals Erster Sekretär der SED-Bezirksleitung Dresden, einig gewesen, bei einer solchen Manipulation notfalls mitzumachen. Anderenfalls wären sie von der SED- und Staatsspitze sofort von ihren Posten entfernt worden.
„Weil wir aber angetreten waren, die DDR zu reformieren, sind wir diesen Kompromiß eingegangen und haben das mitgemacht“, sagte Berghofer weiter. Direkte Anweisungen zur Manipulation habe es wahrscheinlich von oben bis unten an keiner Stelle gegeben und seien auch gar nicht nötig gewesen. „Ich habe ja auch zu keinem gesagt, nimm den Bleistift und ändere die Zahlen.“
Die vom SED-Politbüromitglied Horst Dohlus in einer Rede zu den Wahlzielen formulierte Forderung, dasselbe Ergebnis wie bei den vorherigen Kommunalwahlen zu erreichen, habe genügt. Berghofer sagte dem Anklagevertreter, Staatsanwalt Ulrich Meinerzhagen: „Sie werden in diesem politischen Prozeß die Wahrheit nicht finden, weil die Betroffenen aus Angst vor Strafverfolgung schweigen werden.“ Deshalb seien Strafprozesse zur Aufarbeitung der Vergangenheit ungeeignet. Unter Hinweis auf seinen eigenen Prozeß wegen Wahlfälschung im Januar 1992 sagte Berghofer, er fühle sich zu Unrecht verurteilt.
Der Pfarrer und ehemalige DDR-Oppositionelle Friedrich Schorlemmer bezeichnete den Prozeß gegen Modrow in der Sächsischen Zeitung als beschämend. „Warum ausgerechnet er?“ fragte Schorlemmer und erklärte, Anfang Oktober 1989 habe das Land am Rande des Bürgerkrieges gestanden. Modrow habe gewagt, eigenständig zu handeln, als es in Dresden schlimme Ausschreitungen gegeben habe, „Hunde und Panzer bereitstanden“. Der Befehl zur „Liquidation subversiver Elemente“ sei nicht gegeben worden. „Das allein zählt!“ schrieb der Pfarrer.
Modrow habe in schwieriger Situation schwierige Entscheidungen getroffen und den Demokratisierungsprozeß gesteuert. „Es war nicht leicht, der SED die usurpierte Macht aus den Händen zu ringen. Es gelang aber, dies ohne einen einzigen Toten zu erreichen. Dieser nachholende Prozeß gegen Hans Modrow gehört für mich zu den beschämenden Ergebnissen des friedlichen Umbruchs und zu den schwer begreiflichen Erscheinungsformen dieses Rechtsstaates“, schrieb Schorlemmer. „Ich möchte die 98 Prozent Ostdeutschen, die sich an der Wahlfälschung durch ihre Wahlteilnahme schuldig machten, bitten, sich für das baldige und faire Ende dieses politischen Schauspiels einzusetzen.“
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