Technokraten als Wunderwaffe

Die ItalienerInnen setzen hohe Erwartungen in ihre neuen MinisterInnen – darunter ein Grüner und mehrere Kommunisten / Die Dreiteilung des Landes wird trotzdem fortschreiten  ■ Aus Rom Werner Raith

In der Theorie sieht die Sache gar nicht schlecht aus: Mit der Weigerung, die Parteien bei der Zusammenstellung seines Kabinetts zu konsultieren, und der damit möglichen Ruck-zuck-Präsentation seiner Crew hat der designierte Ministerpräsident Carlo Azeglio Ciampi dem Willen vieler Italiener nach Reduzierung der Parteienmacht und nach einer neuen, entschieden zur Sache gehenden Form von Politik entsprochen. Mit der Ernennung ausgewiesener Fachleute als Minister trägt er der Forderung der Wirtschaft nach einer Modernisierung der Administration Rechnung. Mit der Ernennung linksstehender und grüner Minister bindet er einen zusätzlichen Teil des politischen Spektrums ein.

Die konkreten Probleme kommen freilich schon in den nächsten Tagen. So hat sich Ciampi, bisher Notenbankpräsident, zuallererst mit einem fatalen Nebeneffekt seiner Berufung abzuplagen: Weil ihm alle vertrauen, ist der Lira- Kurs kräftig gestiegen – was nun die Exporte erschwert und die Wirtschaft in Schwierigkeiten bringt; die damit ausfallenden Steuern kompensieren die durch die Senkung der Leitzinsen erwartete Entlastung der Schuldentilgung bei weitem. So muß er wohl schon in den nächsten Tagen einen Nachtragshaushalt vorlegen – genau das kreideten die Bürger ihren bisherigen Regierungen so an.

Im zweiten großen Problemfeld, der Verfassungsreform, streiten nahezu alle Gruppen untereinander. Einigkeit herrscht weder über die effektive Rolle der Regionen noch über das vom Referendum verlangte neue Wahlgesetz und die Norm zur Finanzierung der Parteien. Noch weniger einig sind sich die Kabinettskollegen darüber, wie man die Korruptionsskandale bewältigen kann.

Die oberitalienischen Ligen, die sich auf den Leiter des „Paktes für die Reform“, Mario Segni, als künftigen Ministerpräsidenten eingeschworen hatten, haben bereits heftige Opposition angemeldet: Liga-Chef Bossi hatte schon vor zwei Jahren Ciampi einige Male schwer angegriffen und als sklavischen Erfüllungsgehilfen des korrupten Macht-Establishments gebrandmarkt. Ohne die oberitalienische Gruppierung, die in weiten Teilen des Nordens auf zwanzig bis vierzig Prozent Wählerstimmen kommt, ist eine Verfassungsreform nur schwer zu machen. Die Ligen sind die Vorreiterinnen jener Regionalisierung, die nach dem Ausgang der Referenden auch die meisten Italiener wollen, Ciampi aber ein Mann des Zentralstaates.

Ebenso schwierig ist die Bewältigung der Korruptionsskandale: Keine Regierung kann in Ruhe sanieren, das hat Ciampi bereits vor seiner Berufung einige Male verlauten lassen, wenn die Führungselite noch auf Jahre hinaus Enthüllungen und Skandale fürchten muß – eine Personaldecke zu ihrem Ersatz aber nicht vorhanden ist. Doch eine Bereinigung der Skandale etwa durch eine Amnestie ist ohne Bürgerunmut nicht denkbar.

Die größte Unbekannte bei alledem liegt jedoch an anderer Stelle: Zwar wird Ciampi sicher eine satte Mehrheit für seine erste Vertrauensabstimmung bekommen; das Parlament kann es sich nicht leisten, ihm als sozusagen letzten Aufgebot die Gefolgschaft zu verweigern. Doch das bedeutet, daß mindestens drei tragende Säulen dieses Parlaments sogleich heftige Schwierigkeiten mit ihrer Basis bekommen werden: Die Demokratische Linkspartei (PDS) steht schon seit geraumer Zeit vor internen Zerreißproben just wegen der Frage eines Eintritts in die Regierung – nicht umsonst hatte PDS- Chef Occhetto die Parole ausgegeben, daß kein Top-Politiker der Partei in die Regierung geht und damit deren Unterstützung faktisch erzwingt. Weshalb die PDS nur durch vier Personen aus dem Hinterbankfeld in der Regierung vertreten ist. Man kann also auch wieder aussteigen, ohne daß die Direktion sich gegenseitig zerfleischen muß. Die Sozialisten unter der neuen Führung des Gewerkschafters Giorgio Benvenuto sind ebenfalls gespalten, zumal Ciampi ausgerechnet den Gegenkandidaten Benvenutos bei der Wahl zum PSI-Chef, Gino Giugni, zum Arbeitsminister gemacht hat. Und bei den Christdemokraten steht die Stimmung derzeit durch die Verwicklung ihrer Spitzenpolitiker in böse Gerichtsverfahren sowieso auf der Kippe – nach Umfragen ist schon mehr als die Hälfte der DC bereit, in die Opposition zu gehen.

Das aber würde die Spaltung Italiens vollends vorantreiben: Dann wären die im Norden starken Ligen und die im Süden ebenso starken Christdemokraten in der Opposition, und Ciampis Administration würde nur noch das Zentrum repräsentieren.