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Der Mutterpartei schon voraus?

■ Der erste bundesweite Jugendkongreß von Bündnis90/Grüne: Diskussionen, keine Entscheidungen

Chemnitz (taz) – „Kompass“ heißt die Gaststätte, in der sich am Wochenende 120 Jugendliche zum ersten bundesweiten Jugendkongreß von Bündnis 90/Die Grünen trafen. Der Kongreß sollte denn auch zum Wegweiser für die Kids und Teenies werden, die sich zumindest als SympathisantInnen jener beiden Parteien bezeichnen, die in zwei Wochen auf dem Leipziger Vereinigungsparteitag die Eheringe tauschen wollen.

Bislang hatten in fünf Bundesländern, darunter in Sachsen, offizielle Jugendverbände von Bündnis90/Grüne existiert. Bayern und Niedersachsen hatten sich einer solchen „Spielwiese, vergleichbar mit der Jungen Union“, verweigert und lediglich „Jugendkontaktstellen“ eingerichtet. Seit Mai 1992 verknüpft eine „Bundesjugendkontaktstelle“ (BUJUKS) in Frankfurt am Main diese „grünen und grünnahen“ Organisationen. Diskussionen über einen Jugend- Bundesverband wurden auf dem Kongreß zurückgestellt, was für eine gelöste Atmosphäre sorgte.

In Chemnitz stand der Gedankenaustausch innerhalb verschiedener Arbeitsgruppen zu den Themen „Rechtsextremismus“ und „Verhältnis von Jugendlichen zu Politik“ im Vordergrund. Konsens herrschte darüber, wie mit Rechtsradikalen umzugehen sei: „Offene Auseinandersetzung anstatt Tabuisierung“, lautete die Lösung. Gegengewalt lehnten die 14- bis 25jährigen TeilnehmerInnen des Kongresses ausdrücklich ab. Für den „Tag X“, den Tag des faktischen Abschaffens des Grundrechts auf Asyl, riefen sie zu friedlichen Protestaktionen und zivilem Ungehorsam auf.

Das junge „grün-bürgerbewegte“ Spektrum sparte auch nicht mit Kritik an der Bundespartei Bündnis 90/Grüne: Christian Boeser (Augsburg) sagte, Politik könne selbst bei den Grünen keinen Spaß bereiten, solange sie nicht ihre „unendlich sado-masochistischen Diskussionen“ beendeten. Tarek Al-Wazir (Vorstand Grüne Jugend Hessen) wertete die „unaggressive Stimmung“ auf dem Kongreß als Beweis dafür, der grünen Mutterpartei „einen Schritt voraus“ zu sein. Trotzdem scheint für die meisten NachwuchspolitikerInnen das Bündnis 90/Die Grünen einzige – wenn auch verbesserungsbedürftige – Alternative zu „Blabla-Parteien“ zu sein. Anja Engelmohr, die Münchnerin, war mit 14 Jahren als jüngste Teilnehmerin nach Sachsen gereist, möchte sich indes noch nicht an eine Partei binden: „Irgendwie haben die hier ganz schön viel geredet, aber nichts beschlossen.“ Laut Kirstin Groth, Koordinatorin der BUJUKS, waren „großartige Resolutionen“ auch nicht eingeplant: Vielmehr habe das Kennenlernen beim Erfahrungsaustausch Vorrang gehabt.

Marianne Birthler (Bündnis90), jüngst zurückgetretene Bildungsministerin Brandenburgs, war „begeistert“: Noch nie habe sie solch „sachorientiertes und dennoch nicht verbissenes Diskutieren“ erlebt. „Hoffentlich machen die sich auch in Leipzig bemerkbar“, so Birthler. Heinrich Jung

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