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Nahost-Gespräche: Bilanz rundum positiv

■ Bei den israelisch-palästinensischen Verhandlungen wird erstmals über pragmatische Schritte gesprochen / Gesten Israels können Kritiker nicht überzeugen

Tel Aviv – Anderthalb Jahre nach Beginn des Nahost-Friedensprozesses stehen jetzt in Washington erstmals konkrete israelisch- palästinensische Gespräche über eine Selbstverwaltung in den besetzten Gebieten bevor. Zu Beginn der zweiten Verhandlungswoche zwischen der israelischen und den arabischen Delegationen, die sich gestern zur neunten Gesprächsrunde im Gebäude des US-amerikanischen Außenministeriums versammelten, demonstrieren die Sprecher der Palästinenser und der Israelis Zuversicht über einen konstruktiven „Neubeginn“ des Dialogs. Im Unterschied zur Vergangenheit will man sich ab sofort mit substantiellen Fragen der von Israel angebotenen Zwischenlösung befassen. Diese sieht eine lokale, zivile Selbstverwaltung der Palästinenser in den auch weiterhin von Israel militärisch besetzten Gebieten Westbank und Gaza-Streifen vor.

Bisher konnte man sich auf die Bildung dreier israelisch-palästinensischer Unterausschüsse einigen, die separat über praktische Aspekte verhandeln sollen: die Machtbefugnisse der zukünftigen Selbstverwaltung, die Kontrolle über Ressourcen, in erster Linie von Land und Wasser, sowie die Einhaltung der Menschenrechte in den israelisch besetzten Gebieten.

Die israelische Regierung schägt vor, daß die Palästinenser noch vor Abschluß der laufenden „Autonomie“-Verhandlungen und der Abhaltung von Wahlen zur Bildung einer Selbstverwaltungsbehörde einen Teil der Zivilverwaltung übernehmen, die sich bisher in den Händen der israelischen Besatzungsbehörde befindet. Solche partiellen, pragmatischen De-facto-Lösungen ohne vorherige Übereinkunft in prinzipiellen Fragen hatten die Palästinenser in der Vergangenheit abgelehnt.

Husseini: „Neues Stadium, positive Früchte“

Doch nun sagt Feissal Husseini, der mittlerweile allerseits anerkannte eigentliche Leiter der palästinensischen Delegationen, er glaube, daß „wir jetzt in ein neues Stadium kommen, das positive Früchte tragen kann“. In der besseren Atmosphäre, die nun vorherrsche, werde Israel mehr Flexibilität zeigen als bisher und bereit sein, „Dinge zu ändern“, meinte Husseini.

Der Palästinenserführer hofft, daß die jetzige Gesprächsrunde in Washington zu Ergebnissen führen wird, die die Bevölkerung in den besetzten Gebieten davon überzeugt, daß eine wirkliche positive Änderung eingetreten ist: „Dann wird auch die Gewaltfrage seitens der Palästinenser anders bewertet werden“, fügte Husseini in einem Interview mit dem israelischen Militärsender hinzu. Israel müsse jetzt, da es de facto mit der PLO bereits im Gespräch sei, „das Kind auch bei seinem Namen nennen“, also öffentlich erklären, daß die Verhandlungen mit der PLO geführt werden.

Die israelische Regierung hat nach Absprachen mit der US-Administration einige Schritte unternommen, um die palästinensische Bevölkerung, die den Verhandlungen in Washington größtenteils noch skeptisch bis ablehnend gegenübersteht, umzustimmen. So werden gar die von der palästinensischen Führung organisierten Massenempfänge und Freudendemonstrationen bei der Rückkehr von dreißig der zwischen 1967 und 1987 Deportierten von offizieller Seite unterstützt: die Besatzungsbehörde, die allgemein jeden Ausdruck des palästinensischen Nationalismnus hart bekämpft, drückt diesmal beide Augen zu und gibt den Empfangsfesten in Ramallah, Nablus und Ostjerusalem für die Rückkehrer sogar massive Unterstützung in den amtlich kontrollierten Medien.

Außerdem wurden gestern Ausreiseerleichterungen für Palästinenser bekannt gegeben. Dies bezieht sich allerdings nur auf Reisen ins Ausland, nicht aber nach Israel, denn die seit mehr als einem Monat gültige Abriegelung bleibt weiter bestehen. Eine Reihe anderer „Gesten des guten Willens“ sind noch in Vorbereitung. Auch ist Israel jetzt bereit, den in Ostjerusalem lebenden Palästinensern das passive Wahlrecht bei zukünftigen „Autonomie“ Wahlen zuzubilligen; allerdings nicht in Jerusalem selbst, sondern in einer der umliegenden Städte, die Israel nicht annektiert hat.

Khatib: Welche Grenzen für die Selbstverwaltung?

Doch die israelischen Gesten reichten bislang noch nicht, um die Kritiker, die es auch unter den palästinensischen Verhandlungsführern selbst gibt, zu überzeugen. So wollen die Vertreter der Palästinensischen Volkspartei (Ex-Kommunisten) noch nicht wieder nach Washington zurückkehren. Sie hatten sich zunächst an den Verhandlungen beteiligt, waren aber nicht bereit gewesen, zur jetzigen neunten Runde in die US-Hauptstadt zu reisen. Sie finden, daß die palästinensischen Grundforderungen nach wie vor unerfüllt bleiben und bisher noch keine wirklichen Fortschritte gemacht wurden, die ihre erneute Beteiligung an den Verhandlungen rechtfertigen könnten.

Dr. Ghassan Khatib, ein Vertreter der Palästinensischen Volkspartei, der bislang an allen Stadien der Beratungen und Verhandlungen beteilt war, begründete diese Ablehnung damit, daß Israel noch immer nicht bereit sei, die UNO- Resolution 242 als Grundlage für die Autonomieverhandlungen anzuerkennen. Außerdem beabsichtige die Regierung in Jerusalem sowieso nicht, den Palästinensern alle besetzten Gebiete zur Selbstverwaltung zu übergeben. Israel sei nicht einmal bereit, die Grenzen des Territoriums zu definieren, auf das sich das Selbstverwaltungsmandat erstrecken soll, fügte Khatib hinzu. Zunächst müsse die palästinensische Verhandlungsdelegation durchsetzen, daß die Sicherheitsratsresolution 242 auch bei den gegenwärtigen Verhandlungen Gültigkeit habe – also bei allen grundlegenden Fragen, die das Territorium, die Böden, das Wasser, das Einfrieren des Siedlungsbaus und –ausbaus oder die Frage des Status von Jerusalem betreffen.

Khatib kritisierte auch die Bereitschaft der palästinensischen Führung, mit israelischen Gesprächspartnern in Washington in einem separaten Ausschuß über Menschenrechte zu verhandeln. „Menschenrechte dürfen und können dort kein Verhandlungsthema sein“, begründete Khatib seine Haltung. „Die besondere Verhandlungsgruppe zu diesem Thema in Washington gibt den Israelis die Möglichkeit, durch Gesten auf dem Gebiet der Menschenrechte in der Westbank und im Gaza-Streifen Konzessionen der Palästinenser auf der politischen Ebene zu erpressen.“ Amos Wollin

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