: Rettet den 1. Mai! Von Thomas Pampuch
Das Stück kommt ursprünglich aus Amerika, ist über hundert Jahre alt und hat seit seiner Premiere in Chicago unzählige durchaus konträre Inszenierungen erlebt. Dabei haben die Zeitläufte den Klassiker „First of May“ oft schwer gebeutelt. Falschmünzer und Scharlatane haben sich an ihm vergriffen, immer wieder wurde der Plot umgeschrieben, umgebogen, umfrisiert. Hitler („Tag der Deutschen Arbeit“) und Stalin etwa machten aus dem eigentlich rebellisch- anarchistischen Stück pompöse Jubelfeiern ihrer Regime. Später rissen sich (im Westen) die Gewerkschaften die alleinigen Aufführungsrechte unter den Nagel. Ab 1955 versuchte die katholische Kirche das Stück unter dem Titel „Joseph der Arbeiter“ als Auftaktspektakel ihres Marienmonats für sich zu nutzen. Und im Osten wurde die stalinistische Tradition leicht modifiziert fortgesetzt: Die alte Inszenierung mit Militärparade plus Fähnchenschwingen wurde um den volkstümelnden Regieeinfall Bockwurst plus Freibier erweitert.
Ende der sechziger Jahre entdeckten einige der damals entstehenden revolutionären Avantgardeparteien ihren vermeintlich natürlichen Anspruch auf den Stoff und führten das Stück parallel zu den gewerkschaftlichen Sulzveranstaltungen als historische Kostümshows auf. Eine Weile lang versuchten auch die Antiautoritären mit einer eigenen Version mitzumischen, warfen aber dann irgendwann das Handtuch. Vermutlich, weil ihnen letztlich nicht einleuchten wollte, was es an der Arbeit zu feiern gab. In den achtziger Jahren motzte eine neue junge Schauspielergeneration in Berlin das inzwischen etwas angegraute Stück zeitgemäß auf. Dabei wurde vor allem das alte Räuber- und Gendarm-Motiv reaktiviert. Da sich der Berliner Senat nicht lumpen ließ und selbstlos Komparserie und Bühnentechnik gratis und zu Hauf zur Verfügung stellte, wurde das Stück als „1.-Mai-Randale“ für ein paar Jahre ein passabler Hit.
Die neuste Aufführung am Sonnabend litt freilich schwer unter der inzwischen allzu routinemäßigen Spielanlage. Noch relativ gelungen war die in Scope inszenierte Schlacht auf der Brücke am Mühlendamm, bei der sich Polizei wie Demonstranten offensichtlich von alten Seyfried-Karikaturen inspirieren ließen, so possierlich hüpften sie herum. Das dämliche Steinewerfen allerdings sollte man den Darstellern der Autonomen ausreden, ebenso wie den Ordnungskräften die Realklopperei. Man muß heute wirklich nicht mehr alles und jedes voll ausspielen. Hübsch hingegen die Idee, angesichts der hohen Temperaturen den Wasserwerfer echt in Aktion treten zu lassen. Die Mitternachtsshow in Kreuzberg jedoch setzte überhaupt keine neuen Akzente mehr. Da müssen sich Regie und Akteure was Neues einfallen lassen. Vielleicht könnte man den Catering-Service von Bolle und Aldi, der bisher immer als Plünderung inszeniert wurde, nächstes Jahr einfach mal als eine Art solidarische Speisung der 50.000 anlegen: Herein zum ersten Mai! Tag der Deutschen Bockwurst. Mampftag der Arbeiterklasse. Oder so was in der Richtung jedenfalls. Aldi-Autonome, Bolle- Bullen, jetzt seid Ihr gefordert. Der 1. Mai darf nicht sterben.
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