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Das Wasser von Mexiko-Stadt

Schmutzwasserlawinen in der Regenzeit / Wasserreserven unter der Stadt werden seit 400 Jahren abgepumpt / Die sind bald zu Ende  ■ Aus Mexiko-Stadt Sybille Flaschka

Chimalhuacán. Elendsgürtel am nördlichen Rand des Talkessels von Mexiko-Stadt. Von den rund drei Millionen Menschen, die hier auf dem ausgetrockneten See von Texcoco leben, ist nur ein Teil an die Strom- und Trinkwasserversorgung angeschlossen. Viele von ihnen haben ihre Hütten aus dem zusammengebastelt, was sie als pepenadores, als Müllarbeiter, auf den umliegenden Schutthalden finden konnten: ein Brett, ein Stück Wellblech, ein geradegeklopfter Kotflügel dienen als Dach; ausgebreitete Pappkartons, mit Stöcken verflochten, bilden die Außenwände. Der Fußboden ist mit Sand einen halben Meter hoch aufgeschüttet, um das Eindringen des Wassers während der alljährlich im Juni beginnenden Regenzeit zu verhindern. Der Wasser- und Schlammspiegel steigt von Jahr zu Jahr. Chimalhuacán versinkt dann in den Abwässern, die von der 18,5 Millionen zählenden Metropole Mexikos nicht mehr verdaut werden können.

Die alte Metropole

Chimalhuacán wurde 1265 am Ufer des Texcoco-Sees gegründet. Ein halbes Jahrhundert später trafen die Azteken im Hochtal von Anahuac ein. Zu ihren Füßen sahen sie ein System von Lagunen, das sich, genährt von mehreren in den Bergen entspringenden Flüssen, auf einer Fläche von 1.575 Quadratkilometern ausdehnte. Auf einer Insel inmitten dieser Seenlandschaft gründete das Volk der Nahuatl-Indianer sein Imperiium „Méjico-Tenochtitlán – die Stadt, die im See des Mondes liegt“. Die Azteken befestigten die Ufer, bauten Brücken zum Festland, Dämme und Straßen. Auf Schilfinseln, den chinampas, errichteten sie ihre Stadt, die bereits zum Zeitpunkt der spanischen Eroberung mit rund 200.000 die größte der Welt war. Bernal Diaz del Castillo, Chronist des Eroberers Hernán Cortés, schrieb 1521: „Wir sahen Städte und Dörfer im Wasser und auf festem Boden, wie verzaubert waren wir von den herrlichen Türmen und Gebäuden inmitten der Lagunen.“

Diese anfängliche Begeisterung ging jedoch in den folgenden Jahrhunderten sprichwörtlich den Bach hinunter. Zunächst war es noch kein Problem, die Bevölkerung mit Trinkwasser zu versorgen. Die unter der Stadt liegenden Grundwasserreserven galten als unerschöpflich und wurden dementsprechend angezapft. Die Folge: die auf Wasser gebaute Hauptstadt senkte sich in 400 Jahren um bis zu 15 Meter.

Schwieriger noch war, der in der Regenzeit von den umliegenden Bergen einströmenden Wassermassen Herr zu werden. „Man hätte diese Stadt niemals dort bauen dürfen, wo sie heute steht“, meint der mexikanische Ökologe Daniel Castilla, „die Spanier hätten sich besser an den Ufern, auf den Bergen angesiedelt und den Blick auf das Tal von Mexiko genossen.“ Nach verheerenden Überschwemmungen – das Stadtzentrum wurde mitunter bis zu einem Meter unter Wasser gesetzt – begann in den vierziger Jahren der Bau des sogenannten „tiefen Abwassersystems“, das bislang teuerste Bauprojekt der Stadtgeschichte. Über dieses vernetzte und auf 110 Kilometer erweiterte System wird heute überschüssiges Regenwasser und Abwasser 300 Meter unter der Stadt aufgefangen und in Rohren mit sechs Meter Durchmesser– 40 Kubikmeter pro Sekunde – in die Randgebiete des Talkessels – eben nach Chimalhuaćan – und aus dem Tal gepumpt. Für die rund 30.000 ansässigen Industriebetriebe gibt es weder politischen Druck noch Anreize, um in Kläranlagen zu investieren. So fließen, trotz eines Regierungsverbots, täglich Millionen von Kubikmetern der aguas negras, Haushaltsabwässer, gemischt mit Chemieabwässern, in die Ackerböden der benachbarten Bundesländer.

Dreckwasser wird abgepumpt, Trinkwasser fehlt. Das Wachstum der Metropole trug entscheidend dazu bei. In den letzten 50 Jahren ist die Einwohnerzahl von 1,7 Millionen auf 18,5 Millionen hochgeschnellt. Ein Zahlenspiel: 70 Prozent des Wasserbedarfs wird weiterhin von über 1.400 Pumpen aus den bis zu 500 Meter tief liegenden Grundwasserreserven an die Oberfläche befördert, 60 Kubikmeter pro Sekunde. Die Mitte jeden Jahres einsetzenden Regenfälle füllen die Grundwasserreservoirs nur zu einem geringen Teil wieder auf, und so sinkt Mexiko- Stadt weiterhin, an einigen Stellen bis zu 30 Zentimeter pro Jahr.

Der große Rüssel

Die restlichen 30 Prozent des benötigten Wassers holt sich die Hauptstadt aus den umliegenden Bundesländern, die in den letzten Jahren nahezu trockengelegt wurden. „Es ist die Tyrannei der Hauptstadt über das Land“, meint Daniel Castilla, „wir verschwenden das Wasser, das die anderen zum Trinken und für die Landwirtschaft brauchen.“ Der Fluß Lerma – er entspringt 60 Kilometer von Mexiko-Stadt entfernt – ist heute gerade noch ein dünnes Rinnsal.

Aus 160 Kilometer Entfernung und über einen Höhenunterschied von 1.500 Metern wird Wasser des Cutzamala in die 2.300 Meter hochliegende Hauptstadt abgeleitet. Die Kosten sind enorm: nach einer Studie des mexikanischen Zentrums für Ökologische Entwicklung kostet es jährlich 1,6 Milliarden DM, das Wasser in die Stadt zu bringen. Ein Drittel des Stromverbrauchs der Metropole wird dazu verwendet, das teure Naß über die Berge zu pumpen. „Mexiko-Stadt“, warnt das World Watch Institute, „hat die Grenzen eines vernünftigen Wasserverbrauchs längst überschritten.“

Der tägliche Wasserkonsum liegt bei 360 Liter pro Einwohner, zweimal so hoch wie in anderen vergleichbaren Großstädten. Als Grund gibt die staatliche Wasserkommission die niedrigen Verbraucherpreise an und die Tatsache, daß nicht nach Konsum, sondern nach feststehenden Quoten bezahlt wird, was besonders der ansässigen Industrie zugute kommt. Wasser wird gehandhabt, als ob es im Überfluß vorhanden wäre. Zu durchgreifenden Maßnahmen seitens der Regierung, um den jährlich um 3 Prozent steigenden Wasserverbrauch zu senken, ist es bislang nicht gekommen. Obwohl die staatliche Wasserkommission schon heute davor warnt, daß sich die Grundwasserreserven unter der Stadt, bei gleichem Verbrauch, bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts erschöpfen könnten.

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