: „Man könnte ersticken an Babenhausen“
Der letzte Jude von Babenhausen, Tony A. Merin, reicht Klage gegen die Wahlkampfkostenerstattung für „Republikaner“ und DVU beim Bundesverfassungsgericht ein ■ Aus Frankfurt Klaus-Peter Klingelschmitt
Tony A. Merin (46) ist der letzte Jude im südhessischen Babenhausen. Und in wenigen Wochen wird es in der Kleinstadt keinen Juden mehr geben. Rund 50 Jahre nach dem Holocaust hält es ein Jude in Deutschland nicht mehr aus: Tony A. Merin geht in die Vereinigten Staaten, denn dort könne er einfach nur „Mensch unter Menschen“ sein: „Und nicht die auszugrenzende lebende Mahnung an das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte.“
Der letzte Jude von Babenhausen verläßt Deutschland, weil ihn der Aufstieg der Rechtsradikalen nach der Wende in Angst und Schrecken versetzt hat. Und Merin verläßt sein Geburtsland, weil die Verhältnisse in Babenhausen für ihn unerträglich geworden sind: „Jude, Jude!“ hatten Jugendliche am Himmelfahrtstag 1992 vor seinem Haus skandiert.
Mit den Stadtvätern liegt er in Dauerfehde, weil die sich seine Grundstücke an der Peripherie der Kommune zu „Kristallnachtpreisen“ unter den Nagel reißen wollten. Und aus seiner Post fischt Merin immer mehr anonyme Droh- und Schmutzbriefe: „Du Judensau! Wir kriegen dich noch! Und dann wirst du vergast, wie all die anderen Judensäue! Heil Hitler!“
Tony A. Merin will jetzt beim Bundesverfassungsgericht Klage einreichen – gegen die Wahlkampfkostenerstattung für Parteien wie die „Republikaner“ oder die DVU. Es sei doch auch ein „Affront gegen die deutsche Demokratie“, so Merin, daß sich Parteien, mit denen sich die Verfassungsschutzberichte von Bund und Ländern befaßten, mit Steuergeldern die Taschen vollstopfen und damit ihre Hetzkampagnen gegen Minderheiten finanzieren könnten. Merin: „Ich weiß, daß ich mit meiner Klage in Karlsruhe wenig Aussicht auf Erfolg habe. Für mich wäre es allerdings schon ein Erfolg, wenn dieses Problem in Deutschland endlich Gegenstand einer öffentlichen Debatte wird.“
Daß sich nach einem taz-Artikel vom Februar – und den zahlreichen Fernsehsendungen und Presseberichten danach – „kein Bundespräsident, kein Ministerpräsident und auch kein Zentralratsvorsitzender“ mit ihm solidarisierte, hat ihn tief getroffen. Merin: „Ich stehe nach wie vor ohne Rückendeckung da. Offenbar interessiert sich kein deutscher Politiker für die Probleme eines Juden in Deutschland – knapp 50 Jahre nach dem Naziterror. Das macht mich traurig und wütend zugleich.“
„Von Juden nehmen die halt nix“
Immerhin: Die Fraktion der Grünen im hessischen Landtag wird mit einer „Kleinen Anfrage“ an die Landesregierung versuchen, die Stadtväter von Babenhausen zu öffentlichen Stellungnahmen zu bewegen und den „Fall Merin“ erneut aufzurollen. Als „besonders empörend“ empfand es Fraktionschef Rupert von Plottnitz, daß die Stadtverwaltung dem Juden Merin einen Scheck über 1.000 DM postwendend zurückgeschickt hatte, den Merin für die Sanierung des verkommenen jüdischen Friedhofs in Babenhausen ausgestellt hatte. „Vom Juden nehmen die halt nix“, hatte Merin im Gespräch mit von Plottnitz am vergangenen Montag im Landtag achselzuckend angemerkt.
Im benachbarten Dietzenbach sei dagegen eine Spende von Überlebenden des Holocaust aus dem Ausland für die Pflege des dortigen jüdischen Friedhofs dankbar angenommen worden. Merin: „Man könnte ersticken an Babenhausen.“
Freunde hat Merin, der seit vierzig Jahren in Babenhausen lebt nur (noch) wenige: Den italienischen Lehrer etwa – oder den Wirt des italienischen Restaurants am Ort. Und seit die US-Armee dabei ist, die Kasernen in Babenhausen zu räumen, kommen auch immer weniger schwarze und weiße US- Boys in Merins Bistro „Los Alamos“ oder in seine Diskothek mit der ausgefeilten Lightshow.
Daß ihm die Stadtväter in Babenhausen mit falschen Auskünften zwei potentielle Käufer für seine Grundstücke und Immobilen vergrault haben, wird demnächst Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen werden. Merin will kämpfen: „Ich habe kein Barvermögen. Mein Geld steckt in meinem Besitz. Und den möchte sich die Stadt nach meinem Abgang gerne einverleiben – ohne dafür in den Stadtsäckel greifen zu müssen.“ Und wenn er auch diesen Kampf verlieren sollte?
„Dann verlasse ich Deutschland trotzdem und fange in den Staaten neu an. Denn was nützt mir denn der schönste Besitz, wenn eines Tages die Verrückten mit den Bezinkanistern kommen.“
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