Geschäfte hinter verschlossenen Türen

Eine EG-Richtlinie für öffentliche Aufträge wird zum Großteil umgangen / Wirtschaftssenator Meisner stellt Statistik vor / BVG und BEHALA gerügt / Ostbetriebe werden benachteiligt  ■ Von Severin Weiland

Berlin. „Es heißt ja, Statistiken lügen, aber manchmal ist ihnen auch Interessantes zu entnehmen.“ So umschrieb gestern Wirtschaftssenator Norbert Meisner (SPD) ironisch eine Erhebung, mit der untersucht worden war, ob in Berlin eine EG-Richtlinie eingehalten wird, nach der Aufträge ab 415.000 Mark (200.000 Ecu) öffentlich ausgeschrieben werden müssen.

Das Ergebnis der Erhebung unter 17 Landesbehörden und drei Körperschaften des öffentlichen Rechts ist niederschmetternd: Von 830 Millionen Mark Auftragsvolumen wurden im vergangenen Jahr nur 6,6 Prozent öffentlich ausgeschrieben. 86,2 Prozent (715 Millionen Mark) aller erfaßten Aufträge – die Berliner Wasserbetriebe lieferten keine Angaben – wurden hingegen ohne öffentliche Ausschreibung vergeben. Bei weiteren 7,2 Prozent zog die öffentliche Hand die „beschränkte Ausschreibung“ vor – lediglich ein ausgewählter Kreis von Unternehmen kam in den Genuß einer Bewerbung.

Die am häufigsten vorgetragene Entschuldigung für die nicht-öffentliche Auftragsvergabe: Die Vorhaben ließen keine Zeit, um sich dem langwierigen öffentlichen Verfahren zu unterziehen – im Fachjargon mit „Eilbedürftigkeit“ umschrieben. In diesem Sinne wurde gerade bei Großaufträgen verfahren, obwohl diese eigentlich einer längeren Planung bedürften, wie Meisner anmerkte. Vor allem die Eigenbetriebe der Stadt – namentlich nannte er die BVG und die Berliner Hafen- und Lagerhausbetriebe – halten wenig von der EG-Richtlinie. Ihre Praxis ist für Meisner „nicht mehr hinnehmbar“. Es könne nicht sein, daß bei der Anschaffung von neuen Bussen oder beim Kauf von Kohle- oder Mineralöl mit „Eilbedürftigkeit“ argumentiert werde: „Man kauft nicht zehn Busse oder LKW aus Not von heute auf morgen“. Über die Praxis der BVG, lieber hinter verschlossenen Türen einem Unternehmen den Zuschlag zu geben, hatte sich bei Meisner etwa die Deutsche Waggonbau AG beschwert.

Sanktionsmöglichkeiten gibt es noch nicht. Denn die EG-Richtlinie wartet noch auf ihre Umsetzung in bundesdeutsches Recht. Darüber wird derzeit im Rahmen einer Novellierung des Gesetzes über Haushaltsgrundsätze in Bonn beraten.

Gerade die Ostbetriebe sind laut Meisner durch das bisherige Verfahren benachteiligt. Für sie gilt seit Anfang des Jahres eine Regelung, die sie trotz höherer Kosten gegenüber (West-)Konkurrenten bei der Vergabe bevorzugt. Dieser Grundsatz, so Meisner, könne jedoch nur bei öffentlichen Aufträgen greifen, „die ausgeschrieben sind“.