: Birkenstocks in der Krise Von Michaela Schießl
Mit dem ersten Frühlingstag beginnt die Qual. Augen tränen blutunterlaufen, matt und ohnmächtig ist die modebewußte deutsche Frau den furchtbaren Folgen der Jahreszeit ausgeliefert. Kaum nämlich trifft der erste Sonnenstrahl auf ein Männerbein, beginnt ein Naturschauspiel ohnegleichen: der Großangriff auf die Ästhetik, ein Hohngelächter auf die Anatomie des menschlichen Fußes. Kurz: Der Mann greift zur Sandale. Was so lange kein Problem ist, solange es sich um spanische Männer handelt, um italienische, schwedische. Allein der deutsche Mann kennt weder Geschmack noch Erbarmen.
Hart wie Birkenstock hüpft er ungerührt in seine Sandale und verwandelt seine wohlgeformten Beinenden in plumpe Tiertatzen. Ein Anblick, den deutsche Frauen nur ertragen können, weil sie von Geburt an daran gewöhnt wurden. Im Ausland indes ist die Männersandale als Ausbund der Scheußlichkeit und als Erkennungszeichen für Deutsche längst eine feste Größe. Die wenigen, die es wagen, dem Phänomen auf die Spur zu kommen, scheitern meist kläglich. So berichtet ein eingefleischter Birkenstockler, daß ihn eine elegante Italienerin nach einer dreitägigen Wanderung fragte, warum um Himmels willen er eigentlich Entenfüße trage. Preisgunst, Bequemlichkeit, Gesundheit, selbst eine Präsentation des doppelt gepolsterten, dreifach ausgelegten Fußbetts konnte der von Blutblasen Gequälten nicht nahebringen, warum man sich darart entstellt. In der Tat ist ihr Mißtrauen berechtigt, sind doch die sogenannten Gründe reine Ausflüchte. Denn die Birkenstock-Sandale, in all ihren Abarten und Billigimitaten, ist weniger ein Schuh als eine Lebenseinstellung. Wer diese Ungetüme trägt, zeigt sich gänzlich unabhängig von der öffentlichen Meinung. Freidenker sind es, die Mode ebenso strikt ablehnen wie das kapitalistische System im ganzen und ihre Eltern im besonderen. Als gefährliche Überzeugungstäter mit Sympathien für RAF-Terroristen gelten indes jene, die weiße Tennissocken in den Birkenstock-Booten tragen. Direkter, gemeiner, geschmackloser kann man der bürgerlichen Gesellschaft den Kampf nicht mehr ansagen. Ein psychologischer Kampf allerdings, der ausschließlich mit friedlichen Mitteln provoziert. Nicht zufällig ist die Birkenstock-Sandale der kleinste gemeinsame Nenner aller Kriegsdienstverweigerer. Sie ist ein Pazifistenschuh, wie gemacht für stundenlange Mahnwachen und kilometerlange Demonstrationen, sie ist die Antwort auf den soldatischen Knobelbecher. Doch neuerdings ist der Aussteiger-Mythos der Entenfüße in der Krise. Eine Gruppe namens Birkenstock-Abwehr-Fraktion (BAF) bekannte sich zur Abkehr von der Konfektionssandalette.
In ihrem Bekennerschreiben bezeichnen die Hardcore-Sandalisten Birkenstocks als Yuppieschuhe und rufen auf zur Rückbesinnung. „Einzig annehmbar sind Jesus-Latschen made in Portugal.“ Alles andere sei als widerliche Vereinnahmung durch die Bourgeoisie zu werten. So etwa die frevelhafte Tat des Modezars Gourtier, der seine Models neuerdings in Birkenstocks auf den Steg laufen läßt — als neuester Schrei zur schlampigen Crunch- Mode.
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